Mord ist ihre Leidenschaft
Sie wollte, dass der Bastard anrief.
Wie lange würde er wohl warten? Und wann wäre er bereit, die nächste Runde zu beginnen?
Sie trank ihren Kaffee und zwang sich, ruhig zu überlegen. Geh zurück an den Anfang, sagte sie sich streng. Geh noch einmal die erste Runde in aller Ruhe durch.
Sie schob eine Kopie des ersten Gesprächs in den Schlitz ihres Geräts und hörte sie sich zweimal an. Sie kannte seine Sprechweise, seinen Ton und seine Stimmung. Er war eitel, arrogant, gewitzt und talentiert. Und er war auf einer heiligen Mission. Aber seine Eingebildetheit war seine schwache Stelle. Sie und sein verdrehter Glaube brächten ihn hoffentlich zu Fall.
Rache, hatte er gesagt. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Rache war immer persönlich. Beide toten Männer – und somit sicher auch ihr Mörder – hatten eine Verbindung zu ihrem Ehemann gehabt. Vielleicht ging es um eine alte Vendetta, um etwas, was vor vielen Jahren in seiner Heimat vorgefallen war?
Ja, sie und Roarke müssten dringend miteinander reden. Womöglich war auch er als Opfer auserkoren. Bei diesem Gedanken gefror das Blut in ihren Adern, setzte ihr Herzschlag aus, erstarrte ihr das Hirn.
Also schob sie den Gedanken ganz schnell beiseite. Sie konnte es sich nicht leisten, wie eine Ehefrau zu denken. Mehr als je zuvor durfte sie nichts anderes sein als Polizistin.
Sie spendierte Galahad auch noch den Großteil ihrer Sandwichhälfte und zog die Kopien der Überwachungsdisketten aus den Luxury Towers hervor.
Sie ginge sie alle nacheinander durch. Jede Diskette, jeden aufgenommenen Bereich, egal, wie lange es dauern würde. Und am Morgen zwänge sie auch Roarke, die Disketten anzusehen. Eventuell würde er ja jemanden erkennen.
Plötzlich war sie selbst es, die jemanden erkannte, und vor lauter Überraschung warf sie ihre Kaffeetasse um.
»Stop«, befahl sie eilig. »Zurück zu nullnullfünfsechs. Gütiger Himmel. Standbild, Vergrößerung von Abschnitt fünfzehn um fünfundzwanzig bis dreißig Prozent, Zeitlupe.«
Sie starrte auf die vergrößerte Gestalt in dem ordentlichen schwarzen Anzug und dem weich fließenden Mantel, die die elegante Eingangshalle des Apartmentkomplexes in gemessenem Tempo durchschritt, auf ihre teure Uhr sah und sich die Haare glatt strich.
Dann betrat Summerset den Fahrstuhl und fuhr in eins der oberen Stockwerke hinauf.
»Standbild«, schnauzte sie.
Unten in der Ecke waren Datum und Uhrzeit angegeben. Es war zwölf Uhr mittags an dem Tag, an dem Thomas X. Brennen ermordet worden war.
Hastig sah sie die Überwachungsdiskette aus der Eingangshalle bis zum Ende durch. Roarkes Butler jedoch kam nicht zurück.
5
O hne auch nur anzuklopfen schob sie die Tür des Arbeitszimmers ihres Mannes auf. Das Blut kochte in ihren Adern, ihr Hirn hingegen arbeitete kühl und effizient.
Roarke konnte beides in ihren Augen sehen. Ohne jede Eile schaltete er seinen Computer aus.
»Du übertreibst mal wieder«, sagte er mit leichter Stimme und blieb, als sie auf ihn zugestapft kam, bewegungslos sitzen. »Die Müdigkeit raubt dir sämtliche Farbe. Es gefällt mir nicht, dich derart bleich zu sehen.«
»Ich fühle mich nicht bleich.« Sie war sich nicht klar, was sie überhaupt momentan empfand. Alles, was sie mit Bestimmtheit sagen konnte, war, dass der Mann, den sie liebte, der Mann, dem sie vertraute, etwas wusste. Und dass er es ihr verschwieg. »Du hast gesagt, dass es weder zwischen dir und Brennen noch zwischen dir und Conroy in den letzten Jahren irgendeinen Kontakt gegeben hat. Gab es wirklich keinerlei Kontakt? Nicht mal indirekter Art?«
Er legte den Kopf nachdenklich schräg. Dass sie die Sache so angehen würde, hatte er tatsächlich nicht erwartet. »Nein. Tommy hat die Verbindung zu seinen alten Freunden absichtlich abgebrochen, und Shawn… « Er blickte auf seine Hände, spreizte seine Finger und legte sie wieder zusammen. »An Kontakten zu Shawn hatte ich schlicht kein Interesse. Was mir inzwischen Leid tut. «
»Sieh mich an«, verlangte sie mit zornbebender Stimme.
»Verdammt, sieh mir gefälligst ins Gesicht.« Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. »Ich glaube dir.« Doch noch während sie das sagte, wandte sie sich von ihm ab. »Und ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wirklich wahr ist, was du sagst – oder weil ich dir glauben muss.«
Diese Andeutung von Misstrauen versetzte seinem Herzen einen Stich. »Da kann ich dir nicht helfen. Würdest du dieses Gespräch vielleicht lieber auf der Wache mit mir
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