Mord ist ihre Leidenschaft
Navigationssystems in ihrem Fahrzeug Dampf. Dann schrieb sie, etwas ruhiger, eine E-Mail an Nadine, in der sie ihr ein neuerliches Interview anbot, und schickte sie ab, ehe sie es sich noch einmal anders überlegte.
Und während der ganzen Zeit wartete sie auf das Piepsen ihres Links. Sie wollte, dass er anrief. Je eher er etwas unternähme, umso schlechter wäre sein Vorgehen geplant.
Was war er für ein Typ? Asozial, sadistisch, egozentrisch. Zugleich aber war er eine schwache, traurige, ja richtiggehend jämmerliche Gestalt. Rätsel und Religion, überlegte sie. Tja, das passte durchaus zusammen. Ihr selbst war Religion ein Rätsel. Glaube dies, und zwar nur dies, weil wir es sagen. Denn wenn du es nicht tust, kaufst du dadurch eine Fahrkarte in Richtung ewiger Verdammnis.
Organisierte Religion verwirrte sie und rief ein vages Unbehagen in ihr wach. Jede Religion hatte ihre Anhänger, die der festen Überzeugung waren, das Richtige zu glauben, dass nur ihre Vorstellung die einzig wahre sei. Ständig hatten sie deswegen Kriege angezettelt und mehr Blut vergossen, als sich selbst in Hektolitern messen ließ.
Eve zuckte mit den Schultern und griff nach einer der drei auf ihrem Schreibtisch stehenden Madonnen. Sie war in einem staatlichen Kinderheim erzogen worden und es war per Gesetz verboten, dort auch nur den Hauch von Religion unter den Kindern zu verbreiten. Kirchengruppen versuchten ständig, etwas an diesem Zustand zu ändern. Eve aber war der Ansicht, dass der Laizismus gut für sie gewesen war. Sie hatte sich ihre eigene Meinung bilden können. Es gab richtig und falsch, Gesetz und Chaos, Verbrechen und Bestrafung.
Trotzdem sollte Religion im positiven Sinne den Menschen Trost und Führung bieten, oder? Sie blickte auf den Stapel Disketten, der von ihr bei der Erforschung des Katholizismus zusammengetragen worden war. Diese Glaubensrichtung hatte sich ihr nie vollständig erschlossen, aber wahrscheinlich war genau das hinter heidnischem Pomp verborgene Mysterium der Kern dieser Religion. Dazu waren ihre Rituale reizvoll und sprachen die Sinne an.
Wie zum Beispiel die Madonna. Eve drehte die Statue nachdenklich in ihrer Hand. Wie hatte Roarke sie genannt? Die HJM. Das klang, als wäre sie eine freundliche, zugängliche Gestalt, an die man sich wenden konnte, wenn man in Schwierigkeiten war.
Damit komme ich nicht klar, also frage ich einfach die HJM.
Zugleich jedoch war sie die heiligste der Frauen. Die ultimative weibliche Gestalt. Die jungfräuliche Mutter, die den Sohn Gottes ausgetragen hatte, um am Schluss mit anzusehen, wie er der Sünden der Menschen wegen gestorben war.
Und zurzeit verwendete ein Irrer das Abbild dieser Frau, nutzte es als Zeugin für unmenschliche Taten, die ein Mensch an anderen beging.
Aber Mutter war das Schlüsselwort, oder? Seine Mutter oder eine andere Frau, die Liebe und Autorität miteinander verband.
Eve konnte sich an ihre eigene Mutter nicht erinnern. Selbst in den Träumen, die sie nicht kontrollieren konnte, tauchte niemand in dieser Rolle auf. Sie hörte keine Stimme, die ein leises Schlaflied sang oder zornig mit ihr schimpfte. Sie spürte auch keine Hand, die sanft über ihr Haar strich oder sie wütend schlug.
Nichts.
Aber irgendeine Frau war neun Monate schwanger mit ihr gewesen, hatte sie aus ihrem Leib in die Welt entlassen und dann – dann was? Hatte sie sich abgewandt, war sie vor ihr davongelaufen oder gar gestorben? Sie hatte sie allein gelassen mit einem Vater, der sie schlug, beschmutzte und beinahe zerbrach. Hatte sie zitternd in kalten, schmutzigen Zimmern darauf warten lassen, dass die nächste Nacht der Schmerzen und des Missbrauchs über sie hereinbrach.
Egal, sagte sie sich streng. Darum ging es überhaupt nicht. Es ging um den Hintergrund eines irren Mörders, um den Menschen, der ihn geformt hatte.
Eve Dallas hatte sich selbst geformt.
Vorsichtig stellte sie die Statue wieder auf den Tisch und starrte in das lächelnde, liebliche Gesicht. »Es ist eine seiner vielen Sünden«, murmelte sie, »dass er dich an seinen obszönen Taten teilhaben lässt. Ich muss ihn stoppen, ehe er noch einmal zuschlägt, und ein bisschen Hilfe könnte dabei sicherlich nicht schaden.«
Eve blinzelte schockiert, lachte leise auf und raufte sich vor lauter Verlegenheit die Haare. Die Katholiken mit ihren Statuen waren wirklich clever. Ehe man sich’s versah, sprach man mit den Figuren – und es war fast wie ein Gebet.
Aber nicht durch Beten lässt sich
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