Mord mit kleinen Fehlern
bei deren Anblick Anne einen Kloß im Hals bekam.
Voller Emotionen trat sie auf die Treppe, Emotionen, die sie nicht zuordnen konnte, geschweige denn ausdrücken, verstärkt durch das aufreizende klack-klack-klac k von Judys Holzclogs auf den nackten Stufen. Als sie in den ersten Stock kamen und dann ins Erdgeschoss hinunterstiegen, das über eine Klimaanlage verfügte und voller moderner Gerüche war, brachte es Anne nicht fertig, sich von dem Schwiegersohn zu verabschieden, denn sie hätte ihn am liebsten erwürgt, auch wenn die Polizei schon auf dem Weg hierher war. Sie eilte zur Haustür, öffnete sie weit und stand von Angesicht zu Angesicht einem Mann gegenüber, der ungefähr in ihrem Alter war, auf der obersten Stufe stand und gerade anklopfen wollte.
»Hallo! « Der Mann grinste und zeigte zahlreiche Zähne. Er trug einen braunen australischen Outback-Lederhut, dessen Krempe auf einer Seite hochgesteckt war, ein weißes T-Shirt, weite Jeans und schwarze Sandalen.
»Äh, hallo«, sagte Anne überrascht.
»Ich bin Angus Connolly. Tut mir Leid, dass ich Ihren Feiertag störe; aber ich würde gern wissen, ob Sie diesen Mann hier gesehen haben.« Er griff in seine Hosentasche und reichte Anne ihr eigenes rotes Flugblatt. »Sein Name ist Kevin Satorno. «
Anne war dermaßen schockiert, dass sie kein Wort herausbrachte. Nicht mal einen Gedanken.
»Ich frage mich, ob Sie diesen Mann gesehen haben. Er ist ein Verdächtiger in dem Mord an einer Ihrer Nachbarinnen in dieser Straße, der letzte Nacht geschah. Nur zwei Türen weiter.« Der Mann drehte sich um und wies auf Annes Haus.
»Wer sind Sie? «
»Ich bin Reporter. Bei City Beat . «
»City Beat?« Anne suchte ihn mit den Augen nach einem Presseausweis ab, fand aber keinen. »Davon habe ich noch nie gehört.«
»Wir sind eine freie Zeitung, und wir sind gerade dabei, uns einen Namen zu machen. Beispielsweise stellen wir Nachforschungen in diesem Mordfall an und fragen alle Nachbarn, ob sie diesen Mann gestern Nacht gesehen haben.« Er runzelte die Stirn. »Warten Sie mal, Sie wohnen doch hier, oder nicht?«
»Nein, tut sie nicht«, erwiderte Judy, die hinter Anne auftauchte. »Und sie hat diesen Mann nicht gesehen. Aber ich kenne jemand, der ihn gesehen hat. Die Frau wohnt oben, und sie wird ihre Geschichte den Cops erzählen, die jeden Augenblick hier eintreffen. Sieht so aus, als hätten Sie sich gerade einen Exklusivbericht geangelt, junger Mann.«
»Echt? « Der Mann trat näher, und im selben Augenblick spürte Anne Judys Fingerknöchel im Kreuz, der sie aus dem Weg stupste.
»Gehen Sie nach oben«, fuhr Judy fort. »Bennie Rosato ist auch da. Sie wird all Ihre Fragen beantworten.«
»Bennie Rosato? Die Bennie Rosato? O mein Gott! « Der Möchtegernreporter zog ein Handy aus der hinteren Jeanstasche. »Ich brauche einen Fotografen. Sofort!«, rief er, während er ins Haus stolperte.
»Geh schon, Mädel! «, flüsterte Judy und drängte Anne mit ihrem Ellbogen vorwärts. »Willst du etwa, dass dich die Cops und die Presseleute wiedererkennen? «
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Anne, aber ihr Herz fühlte sich so voll an. Wa s is t nur lo s mi t mir ? Waru m benehm e ic h mic h s o dämlich ? Anne traten Tränen in die Augen, und sie spürte eine Welle der Müdigkeit über sich hinwegschwappen. Vielleicht holte sie alles auf einmal ein. Sie ließ sich von Judy zügig die Straße entlangführen, vorbei an ihrem Haus und den in Zellophan eingewickelten Blumensträußen vor ihrer Treppe. Anne sah noch einmal nach hinten und blieb beim Anblick eines Straußes abrupt stehen. Ein Strauß Gänseblümchen mit einer weißen Schleife. Er war an diesem Morgen noch nicht hier gelegen. Sie ging in die Knie und nahm ihn in die Hand.
»Was machst du denn da?«, fragte Judy zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Ein vorbeikommendes Pärchen funkelte Anne mit offener Missbilligung böse an, aber sie konnte nicht anders, als nur die Gänseblümchen anzustarren. Eine rosa Karte war daran befestigt, mit Schreibmaschine beschriftet, als ob der Auftrag für diesen Strauß per Telefon durchgegeben worden war. Darauf standen nur drei Worte:
IN LIEBE, MOM.
14
Bennie lenkte den Mustang durch den Innenstadtverkehr, immer mit einem Auge im Rückspiegel. Mittlerweile hatte Anne genug über Bennie gelernt, um zu wissen, dass sie es nicht allein wegen des Verkehrs tat. Auch Judy warf ihr hin und wieder Blicke auf dem Rücksitz zu, und Marys Hand war mit ihrer
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