Mord Nach Maß
nicht von früher.« Ich stand auf. »Vielen Dank, dass Sie mir so geduldig zugehört haben.«
»Ich wollte, ich könnte Ihnen mehr helfen.«
Ich trat unter die Tür, in der Tasche das Ding betastend, das ich schon die ganze Zeit mit mir herumtrug. Dann, in einem plötzlichen Entschluss, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging ins Zimmer zurück.
»Hier, das möchte ich Ihnen noch zeigen«, sagte ich. »Eigentlich wollte ich es Sergeant Keene bringen und sehen, was er damit anfangen kann.«
Ich holte aus meiner Tasche einen Stein hervor, der in ein beschriebenes Stück Papier gewickelt war.
»Das hier wurde heute Morgen durchs Fenster in unser Frühstückszimmer geworfen«, erzählte ich dabei. »Ich hörte Glas splittern, als ich hinunterkam. Auch an unserem ersten Abend hier wurde so ein Stein durchs Fenster geworfen. Ich weiß nicht, ob von derselben Person.«
Ich löste das Papier und hielt es ihm hin. Es war ein schmutziger billiger Fetzen mit Druckbuchstaben in ziemlich blasser Tinte. Phillpot setzte die Brille auf und beugte sich darüber. Die Notiz darauf lautete kurz:
» Eine Frau hat Ihre Frau umgebracht.«
Phillpots Augenbrauen hoben sich.
»Allerhand. War auch die erste Nachricht so gedruckt?«
»Ich kann mich nicht mehr erinnern, nicht einmal an den genauen Wortlaut. Es war nur eine Warnung, wir sollten von hier verschwinden. Jedenfalls waren es damals offenbar nur ein paar junge Strolche. Diesmal scheint es mir nicht dasselbe.«
»Glauben Sie, dass der Absender irgendetwas weiß?«
»Wahrscheinlich gehört er zu diesen blödsinnigen, bösartigen anonymen Briefeschreibern. Auf dem Land gibt’s die in rauher Menge.« Er reichte mir den Fetzen Papier zurück.
»Dennoch halte ich Ihren ersten Impuls für richtig«, meinte er. »Bringen Sie es Sergeant Keene. Er wird mit so was besser fertig als ich.«
Ich traf Sergeant Keene auf dem Polizeirevier an; er war überaus interessiert.
»Seltsame Dinge gehen hier vor«, meinte er.
»Was bedeutet es Ihrer Ansicht nach?«
»Schwer zu sagen. Kann schiere Bosheit sein, die darauf abzielt, jemand ganz bestimmten zu beschuldigen.«
»Mrs Lee wahrscheinlich?«
»Nein, ich glaube nicht, dass es dann in dieser Form geschehen wäre. Es könnte sein – und ich würde das nur zu gern glauben –, dass irgendwer etwas gesehen oder gehört hat. Einen Aufschrei, ein Geräusch – oder das Pferd hat fast jemand überrannt, der danach einer Frau begegnet ist. Aber da scheint mir jemand an eine andere Frau als an Mrs Lee zu denken, denn von der Zigeunerin spricht in diesem Zusammenhang ohnedies jeder. Es hört sich an, als sei eine ganz andere gemeint.«
»Was ist mit der Alten?«, fragte ich. »Haben Sie sie gefunden?«
Langsam schüttelte er den Kopf.
»Wir wissen ungefähr, wohin sie sich sonst wandte, wenn sie von hier verschwand. Wir haben uns umgehört, und sie ist dort nicht aufgetaucht. Die Leute hätten vermutlich sowieso nichts anderes ausgesagt, aber ich glaube trotzdem nicht, dass sie sehr weit weg ist.« Die letzten Worte sagte er mit eigenartiger Betonung.
»Ich verstehe nicht ganz«, meinte ich.
»Betrachten Sie es einmal folgendermaßen: Sie fürchtet sich und hat auch allen Grund dazu. Immerhin hat sie Ihre Frau bedroht und erschreckt, und nun hat sie – sagen wir mal – einen Unfall verursacht, bei dem Ihre Frau starb. Sie weiß, dass die Polizei jetzt hinter ihr her sein muss, also will sie untertauchen. Eine möglichst große Entfernung zwischen sich und uns legen. Aber sie wird sich dabei nicht gern sehen lassen, folglich auch keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen.«
»Aber Sie werden sie noch finden? Schließlich ist sie eine auffallende Erscheinung.«
»Aber sicher werden wir sie finden. Es dauert nur seine Zeit. Das heißt, wenn die Dinge wirklich so liegen.«
»Was Sie aber nicht glauben?«
»Na ja, Sie wissen ja, was mir schon die ganze Zeit im Kopf herumgegangen ist. Nämlich ob jemand sie dafür bezahlt hat, dass sie diese Schau abzog.«
»Umso dringender hätte sie sich dann absetzen wollen«, wandte ich ein.
»Und noch jemand hätte ebenfalls lebhaftes Interesse an ihrem Verschwinden. Das müssen Sie auch bedenken, Mr Rogers.«
»Sie meinen die Person, die sie bezahlt hat?«, fragte ich langsam.
»Ja.«
»Angenommen, es war eine Frau…«
»Und angenommen, es hat noch jemand eine Ahnung von den Zusammenhängen und fängt nun an, anonyme Mitteilungen zu schreiben. Die Frau im Hintergrund kann es
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