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Mord Nach Maß

Mord Nach Maß

Titel: Mord Nach Maß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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genau, wann. Sie hatte keine neue Adresse hinterlassen. Das war auch nicht ihre Gewohnheit, sie ging und kam öfter, ohne irgend jemandem Bescheid zu sagen. Ein oder zwei Leute meinten sogar, sie hätte das Dorf schon vor dem Unglück verlassen. Der Coroner wandte sich wieder an den Alten.
    »Dennoch glauben Sie, Mrs Lee gesehen zu haben?«
    »Beschwören kann ich’s nicht. Es war ne große Frau mit energischem Schritt, und sie hatte einen roten Mantel um, so wie Mrs Lee manchmal einen trägt. Aber ich hab nicht richtig hingesehen, ich hatte zu viel zu tun; ’s kann sie gewesen sein, aber genauso gut jemand anders. Wer soll das wissen?«
    Sonst wiederholte er im Wesentlichen, was er schon uns berichtet hatte. Er hatte die Frau in der Nähe vorbeireiten sehen, wie schon öfter. Er hatte nicht sonderlich auf sie geachtet. Erst später, als das Pferd reiterlos vorbeigaloppierte. Sah aus, als hätte es sich über irgendetwas erschreckt, meinte er. Welche Zeit das gewesen war, konnte er nicht sagen. Vielleicht elf, vielleicht früher. Später hatte er das Pferd in größerer Entfernung noch einmal bemerkt. Es schien in den Wald zurückzulaufen.
    Dann rief mich der Coroner abermals vor und stellte mir einige Fragen über Mrs Lee. Oder Mrs Esther Lee, wohnhaft in Vine Cottage. »Sie und auch Ihre Frau kannten Mrs Lee vom Sehen?«
    »Ja«, antwortete ich, »sogar recht gut.«
    »Haben Sie auch mit ihr gesprochen?«
    »Ja, mehrfach. Oder vielmehr«, korrigierte ich, »sie sprach mit uns.«
    »Hat sie Ihre Frau oder Sie jemals bedroht?«
    Ich zögerte. »Schon, in gewissem Sinne«, sagte ich dann. »Aber ich hätte nie gedacht…«
    »Was hätten Sie nie gedacht?«
    »Ich hätte nie gedacht, dass sie’s so ernst meinte.«
    »Hörte es sich so an, als hegte sie einen besonderen Groll gegen Ihre Frau?«
    »Meine Frau erwähnte einmal etwas in dieser Art. Es käme ihr vor, sagte sie, als hätte Mrs Lee etwas gegen sie, aber sie konnte sich nicht denken, was das war.«
    »Haben Sie oder Ihre Frau sie jemals vor die Tür gewiesen, von Ihrem Grundstück vertrieben, sie bedroht oder sonst wie grob behandelt?«
    »Die Aggression ging immer von ihrer Seite aus«, antwortete ich.
    »Hatten Sie je den Eindruck, dass sie nicht ganz zurechnungsfähig war?«
    Ich dachte nach. »Ja«, sagte ich schließlich, »den Eindruck hatte ich. Sie schien der festen Überzeugung zu sein, dass der Grund, auf dem wir unser Haus erbaut hatten, eigentlich ihr gehöre, ihrem Stamm oder wie sie es nennen mögen. Sie war davon irgendwie besessen.« Langsam fügte ich hinzu: »Und ich glaube, diese Besessenheit wurde mit der Zeit immer schlimmer.«
    »Aha. Hat sie Ihre Frau jemals körperlich bedroht?«
    »Nein«, sagte ich zögernd, »das zu behaupten, wäre wohl nicht fair. Es war alles so… na ja, so Zigeuneraberglaube. ›Wenn ihr hier bleibt, wird euch Böses widerfahren‹, oder: ›Ihr seid verflucht, solange ihr nicht fortgeht.‹«
    »Fiel auch das Wort ›Tod‹?«
    »Ich glaube schon. Aber wir haben sie nicht für voll genommen. Ich jedenfalls nicht.«
    »Ihre Frau aber doch?«
    »Ich fürchte, manchmal ja. Die Alte konnte einen schon ziemlich erschrecken. Aber wahrscheinlich durfte man sie für ihre Reden und ihr Gehabe nicht voll verantwortlich machen.«
    Die Verhandlung schloss damit, dass der Coroner die Sitzung für zwei Wochen vertagte. Alles schien auf Tod durch Unfall hinzudeuten, aber es gab keine ausreichenden Beweise für die Unfallursache. Also vertagte er, bis er die Aussage von Mrs Lee einholen konnte.

20
     
    A m Tag nach dem Inquest suchte ich Major Phillpot auf und fragte ihn geradeheraus nach seiner Ansicht.
    »Sie kennen die Alte. Halten Sie sie wirklich für fähig, aus purer Bosheit und absichtlich einen solchen Unfall zu verursachen?«
    »Eigentlich kann ich das nicht so recht glauben, Mike«, antwortete er. »Für so etwas braucht man schon sehr starke Beweggründe. Zum Beispiel Rache für ein Unrecht, das einem persönlich zugefügt worden ist. Aber was hatte Ellie ihr jemals Böses getan? Nichts.«
    »Ich weiß, es klingt absurd. Warum aber lief sie Ellie immer auf so seltsame Art über den Weg, warum drohte sie ihr, wollte sie verjagen? Sie schien ihr verhasst zu sein – weshalb bloß? Sie war Ellie vorher nie begegnet. Was war Ellie schon anderes für sie, als eine völlig fremde Amerikanerin? Es gibt keine Vorgeschichte, keine frühere Verbindung zwischen den beiden.«
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte Phillpot.

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