Mord ohne Leiche
gestopft. »Was, um Gottes willen, machst du hier?«
Sie steckte den Daumen wieder in den
Mund und zischelte daran vorbei: »Richte mir ein eigenes Zimmer her. Bin es
einfach leid, in meinem Büro zu wohnen.«
Rae hatte sich im September von ihrem
Mann, einem ewigen Studenten, getrennt und war ins All Souls gezogen. Alle
Zimmer dort waren aber besetzt, und so hatte sie ihren Haushalt in ihr Büro
verlegt — es war früher meines gewesen — , und das war wirklich nicht mehr als
eine Besenkammer unter der Treppe. Daß hier oben alles belegt sei, mache ihr
nichts aus. Es sei ja nur eine vorübergehende Lösung auf Zeit — bis ein anderes
Zimmer frei würde oder es mit der Eheberatung klappte und sie und Doug wieder
zusammenzögen.
Ich setzte mich auf einen aufgerollten
Teppich und sagte: »Eure Weihnachtsreise zu Dougs Eltern war wohl kein voller
Erfolg.«
Sie schnaufte. »Das ist milde
ausgedrückt. Seine ganze Familie gibt mir die Schuld, weil dieses
Arschloch letzten Herbst diesen Selbstmordversuch vorgetäuscht hat. Seine
Mutter hatte den Nerv, mir zu sagen, das wäre nicht passiert, wenn ich
aufmerksamer zu ihm gewesen wäre. Außerdem war es kalt in Ohio, und wir hatten
beide nicht genug warme Kleidung mit. Also marschierte seine Mutter los und
kaufte ihrem Dougie zwei neue Pullover, mir aber keinen. Dann erfuhr ich, daß
er ihnen nicht einmal erzählt hat, daß wir nicht mehr zusammenleben. Als ich
die Sache klarstellte, hielt mir sein Vater einen Vortrag über die Pflichten
einer Frau ihrem Ehemann gegenüber. Von den Pflichten des Ehemannes keine Rede —
von so unwichtigen Dingen wie Respekt vor den Rechten der eigenen Frau oder
Wahrheitsliebe. Oh, nein, solche Dinge gelten nicht für ihren Dougie. Kein
Wunder, daß er so wurde, wie er ist!« Sie unterbrach sich, plötzlich beschämt.
»Tut mir leid. Ich sollte nicht so lauthals daherreden. Aber jedesmal, wenn ich
daran denke, also... dann platze ich!«
»Ich mach dir keinen Vorwurf.« Rae
hatte in wenigen Monaten einen weiten Weg zurückgelegt: von einer Frau, die im
Büro alles stehen- und liegenließ und zu ihrem Mann eilte, sobald der nur mit
den Fingern schnippte, zu einer, die gewaltig auf den Tisch klopfen konnte. Ich
machte eine Handbewegung. »Das hört sich ja an, als wolltest du dich scheiden
lassen.«
»Genau. Die Partnertherapie hat mir
gezeigt, daß wir keine gemeinsame Zukunft haben. Jede Woche kommen mehr und mehr
Dinge über uns heraus. Absolut schweinische über Doug, und auch über mich
Dinge, die mir ganz und gar nicht gefallen. An meinem eigenen schlechten
Charakter kann ich vielleicht noch etwas verbessern, nicht aber an seinem.«
»Wann reichst du also die Scheidung
ein?«
»Bald. Das Dumme ist, daß ich nur
neunundzwanzig Dollar auf dem Konto habe.« Für einen Moment wirkte sie
beklommen, dann strahlte sie. »Aber Hank hat mir ein Buch darüber geliehen, wie
man seine Scheidung selbst betreiben kann, und er hat mir sogar seine Hilfe
angeboten. Das Geld für die Gerichtskosten werde ich gerade noch
zusammenkratzen können.«
Ich überlegte, ob ich anbieten sollte,
es ihr zu leihen, entschied mich aber gegen eine so offene Parteinahme. Schon
vor langer Zeit hatte ich gelernt, mich aus den Ehekrisen meiner Freunde
herauszuhalten. Kaum hatte ich mich auf die eine oder andere Seite geschlagen,
versöhnten sie sich wieder, und ich hatte den Schwarzen Peter.
»Hank hat mir schrecklich viel
geholfen«, setzte Rae hinzu. »Ich hatte befürchtet, er hätte etwas dagegen, daß
ich mich hier oben einrichte, aber er hat einfach ja gesagt und den Besitzer
sogar überredet, das Isoliermaterial und die Rigipsplatten zu zahlen.«
Hank Zahn, der Begründer und nominelle
Leiter von All Souls, war eine Kanone, wenn es darum ging, den Leuten alles
mögliche einzureden. Zu schade, dachte ich, daß er nicht annähernd so gut mit
dem Hammer umgehen konnte. Und weil ich gerade bei Ehekrächen war... »War Hank
diese Woche hier?« fragte ich sie.
»Nicht oft.«
»Und Anne-Marie?« Anne-Marie Altman,
unsere Steueranwältin, war Hanks Frau und eine gute Freundin von mir.
»Hab sie nicht gesehen, aber ich bin
erst seit Montag aus Ohio zurück.«
»Na ja, ich nehme an, sie kommen am
Samstagabend zur Party.«
»Falls sie miteinander reden.«
»Du hast es also auch bemerkt.«
»War nicht zu übersehen. Offen gesagt,
ich glaube, sie brauchen getrennte Wohnungen. Es gibt Menschen, die sich
lieben, aber nicht zusammenleben können.«
»Kann sein«,
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