Mord ohne Leiche
stand auf und schaltete den
Recorder aus. Statt Fosters Gesicht erschien das eines Nachrichtensprechers auf
dem Bildschirm. Er las im Kabelkanal die Mitternachtsnachrichten. Zweimal hatte
ich mir das Videoband angesehen — das war mehr als genug. Ich schaltete auch
den Fernseher aus und ging in die Küche, um mir ein Glas Milch zu holen. Zur
Erquickung, dachte ich gequält.
Das Band war wirklich brutal — zeitweise
drehte es einem den Magen um. Foster hatte zugegeben, Tracy Kostakos mit der
Absicht entführt zu haben, sie in einem Apartment in der Western Addition so
lange festzuhalten, bis er von ihren reichen Eltern das Lösegeld kassiert
hätte. Er habe ihr angeboten, sie in einem vom Cafe-Comedie-Parkplatz
gestohlenen Wagen zu ihrer Improvisationsgruppe zu bringen, habe sie bewußtlos
geschlagen und in das Apartment gefahren. Drinnen sei sie dann wieder zu sich
gekommen und habe versucht zu fliehen. In dem darauf folgenden Kampf habe er
mehrmals auf sie eingestochen. Dann habe er den leblosen Körper mißbraucht.
Schließlich habe er sie wieder in den Wagen geladen, sei nach Süden in die
Berge gefahren und habe ihre Leiche in eine Schlucht geworfen. Die Details
hörten sich besonders schauerlich an, weil er sie auf eine so ausdruckslose,
gefühllose Art erzählte. Doch da war einiges, was unwahr klang. Vieles...
Ich ging ins Wohnzimmer zurück, rollte
mich auf der Couch zusammen und sah die Notizen durch, die ich mir auf einem
Block gemacht hatte. Fosters Geständnis wies Widersprüche auf: So behauptete
er, der von ihm gestohlene Wagen sei grün gewesen, nicht blau. Dann sagte er,
er sei die ganze Nacht weggewesen, und nicht kurz vor Schließung des Clubs um
zwei Uhr zurückgekommen, wie seine Parkwächterkollegen ausgesagt hatten. Und er
habe den Wagen am Straßenrand stehenlassen und nicht in einer anderen Schlucht.
Aus dem Gerichtsprotokoll erfuhr ich, daß er die ermittelnden Beamten nicht zu
der Stelle führen konnte, wo er sich der Leiche entledigt haben wollte. Das
Apartment, in dem er angeblich Tracy getötet hatte, hatte sich nie genau
lokalisieren lassen, und auch dieser »feine Typ, der da im Club herumhing« und
ihm das Apartment überlassen habe, wurde nie identifiziert. Dann war da noch
dieser Streit, den er und Tracy nachweislich auf dem Gehsteig vor dem Club
gehabt hatten: Wenn er ihr nur angeboten hatte, sie zu fahren, warum dann die
Diskussion? Im ganzen hatte ich mehrere Seiten in meinem Block voller Notizen
über die Lücken im Fall Foster.
Zum Beispiel die Fingerabdrücke im
Wagen: Wenn Foster ihn vorher eingeparkt hatte, dann mußten seine
Fingerabdrücke ja darin sein. Dann die Tatsache, daß er die Lösegeldforderung
nicht weiter verfolgt hatte: Er hatte dabei nichts zu verlieren gehabt. Sicher,
es gab Fakten in seinem Geständnis, die ihn schuldig erscheinen ließen, aber
die hatte er sich auch vorher in den stundenlangen Verhören zurechtlegen
können, bevor schließlich mit der Videoaufnahme begonnen wurde. Die anderen
Fakten — diese brutalen, aber nicht zu verifizierenden Einzelheiten über das,
was er Tracy Kostakos angetan hatte — konnten das Produkt einer übermäßigen
Einbildungskraft sein. Und es ärgerte mich, daß der Chefermittler, Ben Gallagher,
Foster die Antworten in den Mund gelegt zu haben schien. Foster hatte
wiederholt die Phrase »wie Sie sagen« gebraucht, und das brachte mich darauf,
daß Gallagher ihm einige Dinge vorher eingeimpft hatte.
Zu dumm, daß ich Ben nicht danach
fragen konnte. Er war einen Monat zuvor von einem Tablettensüchtigen erschossen
worden, der sich nach dem Mord an seiner Frau und seinem kleinen Sohn der
Verhaftung widersetzt hatte.
Ich gähnte und merkte, daß mein
Erquickungsschluck seine magische Wirkung getan hatte. Aber ich konnte nicht zu
Bett gehen. Noch nicht. Ich mußte Jack anrufen, der zum Glück ein Nachtmensch
war und noch Stunden auf sein würde.
Doch ich zögerte noch, während mein
Blick über die Liste ging, die Jack mir von »Präzedenzfällen ohne Leiche«
gegeben hatte: Das Volk der Vereinigten Staaten gegen Alviso. Das Volk der
Vereinigten Staaten gegen Clark. Das Volk der Vereinigten Staaten gegen Ward
und Fontenot... Fälle aus den Jahren 1880 bis 1985, in denen das ›corpus
delicti‹ von solcher Beweiskraft war, daß »aus den eindeutigen und
unmißverständlichen Umständen überzeugende Schlüsse zu ziehen waren«.
Eindeutige und unmißverständliche
Umstände?
Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Ich
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