Mord und Brand
des Besuchers aus Graz befassen. Eine gewaltige Wut stieg in Budka auf. So knapp vorm Ziel scheiterte er an einem Lausbuben, der sich hier als Sekretär gebärdete. Jetzt half nichts anderes als ein Frontalangriff! Unvermittelt brüllte er los:
»Das ist eine unglaubliche Unverschämtheit! Da kommt man extra aus Graz nach Wien und wird dann nicht empfangen. Obwohl man einen Termin vereinbart hatte! Nein, das kann man mit mir, mit Giuseppe Hmelak, nicht machen!«
Und damit schob er den Sekretär zur Seite, öffnete die Tür zum Nebenzimmer, das nichts weiter als ein kleines Kammerl mit einem großen Schreibtisch war. Dahinter gab es eine weitere Tür. Er schritt entschlossen auf sie zu, klopfte und öffnete energisch, ohne eine Antwort abzuwarten. Hinter ihm folgten in einem Respektabstand der Sekretärsjüngling und die Vorzimmerdame. Und plötzlich stand er Aug in Aug mit einem würdevoll aussehenden Herrn mit dichtem, an den Schläfen grau werdendem blondem Haar und sorgfältig gestutztem Oberlippenbart.
»Was ist das für ein Aufruhr? Was geht hier vor?«
»Herr Direktor Hubendorfer?«
Der Angesprochene nickte und runzelte die Augenbrauen. Budka aber verbeugte sich und sagte:
»Giuseppe Hmelak, Delikatessen-, Konserven-, frische Meeresfische-, Kolonialwaren-, Südfrüchte- und Gemüse-Händler aus Graz. Habe telefonisch einen Termin für heute Nachmittag mit Ihrem Sekretariat vereinbart. Aber anscheinend wurde da irgendetwas verwechselt…«
Die strenge Miene Hubendorfers entspannte sich. Ein mildes, verzeihendes Lächeln erschien stattdessen auf seinem Gesicht.
»Te-le-fonisch… haben Sie den Termin vereinbart? Ach, wissen Sie, die moderne Technik…«, er machte eine wegwerfende Handbewegung, »…auf die ist doch kein Verlass. Von wo kommen Sie? Von Graz? Na, das ist ja ein ganz schön weiter Weg, nicht wahr? Da werden wir Sie jetzt nicht wieder wegschicken. Kommen S’, nehmen S’ Platz und erzählen S’ mir, was Sie so alles in Ihrem Sortiment haben. Haben S’ vielleicht auch eine Preisliste mit?«
Budka setzte sich, überreichte die Preisliste und plauderte mit Hubendorfer eine Zeit lang. Plötzlich sah der Direktor auf die Uhr, sprang auf und entschuldigte sich, dass er nun gehen müsse. Eine dringende Verabredung. Budka bedankte sich bei Hubendorfer für das Gespräch und dieser versicherte ihm, seinerseits die Angebote und Preise zu prüfen. Vielleicht werde man miteinander ins Geschäft kommen…
Einem Gefühl folgend, wartete Budka vis-à-vis des Hauses, bis kurze Zeit später auch Hubendorfer das Gebäude verließ. Vielleicht hatte er jetzt eine Verabredung mit seinem Pantscherl 28 , mit der Friederike Nemec? Irgendwie war Hubendorfer freudig erregt gewesen, als er vorhin von seinem ›Termin‹ gesprochen hatte. Budka folgte dem Direktor unauffällig, als dieser von der Stubenbastei zur nächsten Stadtbahnstation ging und von dort bis zur Pilgramgasse fuhr. Im Verschleißmagazin des Ersten Österreichischen Consum-Vereins in der Pilgramgasse 16 holte er eine junge, sehr fesche Verkäuferin ab. Mit ihr ging er in das Gasthaus ›Zur Goldenen Glocke‹, wo sich die beiden in ein dunkles Eck setzten und verliebt Händchen hielten. Budka, der sich im Lokal ein Plätzchen ausgesucht hatte, wo er die beiden aus sicherer Entfernung beobachten konnte, trank zufrieden sein Bier und grinste: Innerhalb weniger Stunden hatte er nun beide Mordopfer kennengelernt. Sozusagen zwei Fliegen mit einem Schlag erwischt.
X.
Frantisek Oprschalek hatte ein flaues Gefühl im Bauch, als er am frühen Abend das Café Dobner betrat. Schließlich hatte er hier ums Eck mit seiner Alten über ein Jahrzehnt lang gewohnt. Da es draußen kalt und stürmisch war, hatte er den Mantelkragen hochgeschlagen und den Hut tief ins Gesicht gezogen. Daran änderte er auch im Kaffeehaus nichts. Er setzte sich an ein Tischchen in einem Raum, wo hauptsächlich Gäste vom benachbarten Theater an der Wien saßen. Künstler, Bühnenarbeiter und Statisten diskutierten hier über Aufführungen, Besetzungen und geplante Premieren, tratschten über Vorkommnisse auf und hinter der Bühne und zerrissen sich die Mäuler über nicht anwesende Kolleginnen und Kollegen. Hier kannte ihn niemand. Er entspannte sich, knöpfte den Mantel auf, schlug den Kragen um. Beim Kellner bestellte er einen Tee mit Rum. Als der Pikkolo ihm das heiße Getränk servierte, gab er ihm den Auftrag, beim Marqueur 29 , bei der Sitzkassierin sowie beim Cafetier
Weitere Kostenlose Bücher