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Mord und Brand

Mord und Brand

Titel: Mord und Brand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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hinaus auf die Laaer Straße und ging zügig stadteinwärts. Das Bündel Kleider, das er bei sich trug, warf er in einem hohen Bogen in ein Gebüsch am Straßenrand. Ein Akt der Befreiung. Damit hatte er sich von dem miserablen Leben der letzten Wochen getrennt.
     
    Im Herzen des 10. Bezirks hielt er einen leeren Fiaker an und befahl ihm, ihn zu einem jüdischen Schuhmacher im 2. Bezirk zu fahren, der nicht nur neue Schuhe machte, sondern auch mit erstklassigen gebrauchten handelte. Dort würde er den vorletzten Schwachpunkt seiner neuen Erscheinung, das abgerissene Schuhwerk, tilgen. Wenn das erledigt war, musste er nur mehr zum Friseur gehen und sich danach um einen neuen, gefälschten Ausweis kümmern. Dann war der alte, gehetzte Oprschalek endgültig Geschichte.
     
     
     

IV/2.
    Es blies ein ziemlich heftiger Wind am Morgen des 18. August 1911. Aurelia Nechyba wandelte beschwingten Schrittes über den Naschmarkt. Heute hatte der Kaiser Geburtstag. Unglaubliche 81 Jahre zählte der Monarch. Aurelia fühlte sich aufgrund ihrer seinerzeitigen Anstellung als Köchin im Haushalt des Bruders seiner Majestät dem Kaiserhaus immer noch sehr verbunden. Deshalb hatte sie sich heute eine frische Bluse und die fein gebügelte Schürze angezogen.
    »Frau Aurelia, was ist denn passiert? Sie haben sich ja heut’ besonders herausgeputzt?«
    Diese Anrede ließ die Köchin aus ihren Gedanken aufschrecken. Das derbe, rundliche Gesicht der Freihof-Mizzi, einer Fratschlerin, die sie schon lange kannte und die für ihr loses Mundwerk bekannt war, grinste sie an.
    »Heut hat unser Kaiser Geburtstag…«, verkündete Aurelia und das Gesicht der Freihof-Mizzi verzog sich zu einer unwilligen Grimasse.
    »Gehen S’, hörn S’ ma auf mit den hohen Herren! Die pfeifen sich doch um unsereiner überhaupt nix. Wir sind net amoi Dreck für die. Wir sind gar nix. Schaun S’ die Fleischkrise an. 800 Tonnen erstklassiges, gefrorenes argentinisches Rindfleisch lagert in Triest. Und warum ist das net schon längst bei uns in Wien? Weil das die hohen Herren in der ungarischen Regierung blockieren. Und weil sie für ihre Zustimmung jede Menge Freiheiten erpressen wollen. Jawohl, erpressen! Und was macht der Kaiser? Nix! Der sitzt in Bad Ischl, genießt die Sommerfrische, geht jeden Tag jagen und isst frisches Wild, das er selbst g’schossen hat. Mein Lieber, so gut sollt es unsereins gehen. Der Kaiser? Ha! Der braucht kein argentinisches Rindfleisch!«
    »Also, jetzt hören S’ aber auf! Tun S’ unsern Kaiser ja net verunglimpfen. Das ist Majestätsbeleidigung, so wie Sie daherreden!« Aurelia Nechybas Stimme bebte vor Zorn. Einige Passantinnen, die den Ausführungen der Fratschlerin zuvor gelauscht hatten, nickten beifällig. Aurelia herrschte die Standlerin an:
    »Mein Mann ist Polizist. Wenn ich dem das erzähl’, was Sie gerade g’sagt haben, verhaftet er Sie vom Fleck weg!«
    Nun machte die Fratschlerin einen Buckel und begann zu jeiern 124 :
    »Geh, warum denn? I hab ja nix ’tan… I bin ja nur a klanes Würschtl. Und i hab’s ja net so g’meint. Hoch lebe unser Kaiser! Hoch! Dreimal hoch!«
    Die umstehenden Köchinnen, Dienstmädel, Bauern, Herumtreiber sowie gnädigen Frauen stimmten in die Hochrufe ein. Aurelia gab sich einen Ruck und ging weiter. Das nunmehr unterwürfige Verhalten der Fratschlerin war ihr noch mehr zuwider als deren obrigkeitsfeindliches Gerede zuvor. Mit hoch erhobenem Haupt und stolz darauf, die Ehre des Kaisers verteidigt zu haben, schritt die Köchin durch das Gedränge. Plötzlich fühlte sie sich beobachtet. Ein sehr gut gekleideter Herr in einem hellen Anzug mit Sommerhut und einer runden, in Gold gefassten Brille fixierte sie. Er hatte einen üppigen, grauen Vollbart und stand beim Knödelmann, wo er sich gerade einen dampfend heißen Semmelknödel kaufte. Mit prüfendem Blick fixierte er die Köchin. Da Aurelia nicht gewohnt war, von fremden Herren angestarrt zu werden, senkte sie den Kopf und eilte an dem Mann vorbei. ›Wenn das mein Nechyba mitbekommen würde, täte er ihn augenblicklich zur Rede stellen‹, dachte sie sich und war stolz auf ihren stattlichen und kräftigen Mann. Ihr Weg führte sie zu dem gemauerten Fischstand, der sich am Ende des Marktes bei der Friedrichstraße befand. Dort war sie keine Unbekannte, denn im Zuge der Fleischkrise bereitete sie nun sehr oft Fischgerichte zu. Und die Fische dafür bekam sie hier in erstklassiger Qualität und zu vernünftigen Preisen.
    »Ah,

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