Mord und Brand
Bogen auf die harzige Flüssigkeit. Und siehe da, eine zarte, weißblaue Flamme begann zu züngeln. Gebannt starrte er sie an. Und wie auf Befehl, gab es plötzlich eine Stichflamme und der Holzkübel brannte lichterloh. Oprschalek sprang auf und tanzte wie ein Verrückter um das Feuer. Schließlich zog er sein völlig zerrissenes Sakko aus, wickelte es um die Hand, packte den brennenden Kübel und rannte mit dieser Fackel zum nächsten großen Gebäude. Plötzlich hörte er Schritte und Stimmen. Verärgert stoppte er mitten im Laufen, schlug einen Haken und versteckte sich hinter einem niedrigen Schuppen. Den Kübel musste er fallen lassen, weil er Gefahr lief, sich daran zu verbrennen. Als die Gruppe morgendlich verschlafener Arbeiter vorbeigegangen war, rannte er weiter. Er riss eine Tür auf. Stürmte in einen menschenleeren Raum. Stieß eine weitere Tür auf. Vor ihm ein großer Raum mit mehreren Reihen von Holzfässern. Schwungvoll warf er seine Fackel hinein. Funken sprühend zerbarst der Kübel. Reste der zähen Flüssigkeit flossen brennend an den Fässern entlang. Oprschalek riss die Tür auf. Frische Luft strömte in den Raum, Zugluft entstand. Die brennenden Trümmer des Kübels loderten auf. Plötzlich eine Stichflamme und das erste Holzfass brannte. Oprschalek warf sein glimmendes, ziemlich stark versengtes Sakko in die Flammen und blockierte die offen stehende Tür mit einem herumliegenden Ziegelstein. Er durchquerte den vorderen Raum, öffnete die Tür nach außen und fixierte diese mit einem Stück Holz, damit auch sie nicht zufallen konnte.
»So ein Feuerchen braucht mächtig viel Luft…«, murmelte er mit einem zufriedenen Lächeln und stapfte mit den Händen in den Hosentaschen davon. Er ging zu dem Loch im Zaun zurück und wollte das Fabrikgelände verlassen. Doch dann überlegte er es sich anders. Er lehnte die leere Schubkarre an eine Schuppenwand, sodass sie wie ein Liegestuhl dastand. In ihr machte er es sich bequem, schloss die Augen und wartete: auf die Panik, die Angst und die Verzweiflung, die die Menschen immer dann überkamen, wenn sie der entfesselten Urgewalt des Feuers gegenüberstanden.
Er musste wohl etwas eingenickt sein, denn als er die Augen aufschlug, kitzelten warme Sonnenstrahlen sein bärtiges Antlitz. Eine mächtige, pechschwarze Rauchsäule war über der Fabrik aufgestiegen. Und dann roch er es: Es stank im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel. Wind wehte den Geruch von verbrannten Ölen und Harzen zu ihm. Hin und wieder flogen auch Funken und Rußflankerln. Er stand auf, gähnte und streckte sich. Das Einzige, was sein Wohlbefinden im Moment schmälerte, war sein bösartig knurrender Magen. Er hatte Hunger. Ohne lange nachzudenken, ging er in Richtung Verwaltungsgebäude. Ununterbrochen rannten Leute an ihm vorbei, der erste Feuerwehrwagen raste in den Innenhof. Die Pferde hatten Schaum vor dem Mund. Die Befehle des Feuerwehrkommandanten ertönten, und schon kam mit lautem Gebimmel der nächste von schnaubenden Pferden gezogene Spritzenwagen in den Fabrikhof gefahren. Wildes Herumgerenne, gebrüllte Befehle, hektisch arbeitende Feuerwehrmänner. Unbefangen schritt Oprschalek durch das Gewühl und betrat das Verwaltungsgebäude. Kein Portier, kein Aufseher, kein Angestellter. Alle rannten draußen wie die aufgeschreckten Hühner herum. ›Es fehlt nur noch, dass sie zu gackern anfangen…‹, dachte er sich und stieg die Stiegen in den ersten Stock hinauf. Dort roch es plötzlich nicht mehr nach Rauch und Brand, sondern nach frisch gekochtem Bohnenkaffee. Er ging seiner Nase nach, öffnete eine Tür und stand im Sekretariat des Herrn Direktors. Eine beleibte Dame, augenscheinlich die Sekretärin des hier amtierenden Kapitalisten, stand am Fenster und beobachtete gebannt das Chaos. Nur kurz drehte sie sich zu ihm um und sagte mit barscher Stimme:
»Der Herr Direktor ist unten beim Feuer. Kommen S’ später wieder!«
Mit einigen schnellen Schritten war er hinter ihr und packte sie bei ihrer pompösen Frisur. Er schlug ihr Gesicht gegen sein Knie, das er in die Höhe riss. Knirschend brach ihr Nasenbein. Mit einem schrillen Quietscher sackte sie bewusstlos zusammen. Er fetzte ihr die Bluse vom Leib, riss diese zu Stoffbahnen und fesselte sie damit an Handgelenken und Beinen. Zur Sicherheit stopfte er ihr den Rest der Bluse in den blutverschmierten Mund. Dann sah er sich im Sekretariat um: Eine große Flügeltür führte offensichtlich in das Zimmer des Direktors.
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