Mord und Brand
Wurzelwerk. Dieses schnitt die Köchin mit geübten Griffen blättrig und gab es gemeinsam mit einer fein geschnittenen Zwiebel in die Kasserolle. Sie würzte mit schwarzem Pfeffer, Neugewürz sowie einer Prise Muskat und löschte, als das Gemüse angeröstet war, mit einem Schuss Essig ab. Dann goss sie mit je einem Seitl Schwarzbier und Rotwein auf. Nun gab sie geriebene Zitronen- und Orangenschale, eine Handvoll Dörrzwetschken und Rosinen, etwas geriebenen Lebkuchen, in kleine Würfel gehackte Äpfel, die Köpfe der Karpfen sowie deren sorgfältig geputzte Eingeweide dazu und fügte Wasser sowie Salz hinzu. All das musste zwei Stunden kochen. Danach würde sie die Fischreste abseihen, alles andere passieren und mit fein geschnittenen Dörrzwetschken, Nüssen, Mandeln und Rosinen verfeinern. Diese köstliche, schwarze Sauce würde sie dann über die gesottenen Karpfen gießen und zusammen mit Salzerdäpfeln servieren. Als Aurelia auch Vorspeise und Nachspeise zubereitet hatte, setzte sie sich einen Augenblick hin, um zu verschnaufen. Da fiel ihr das Horoskopzetterl ein, das sie dem Gotthelf aus Dankbarkeit für seine Hilfe abgekauft hatte. Sie kramte es aus ihrer Schürzentasche und entfaltete es. Als sie den Text las, runzelte sie die Stirne und musste ganz heftig an Nechyba denken: Die Sterne stehen günstig. Bei gutem Wind kann Ihnen ein dicker Fisch ins Netz gehen.
V/2.
Gut ausgeschlafen war er heute Morgen aufgewacht. Nach einer erfrischenden Gesichts- und Oberkörperwäsche rief er das Dienstmädel, das ihm neue Unterwäsche brachte: blütenweiß gewaschen und frisch gebügelt. So wie er es liebte und worauf er viele Jahrzehnte seines Lebens hatte verzichten müssen. Aber das Blatt hatte sich gewendet! Nun war er der, der anschaffte. Gut gelaunt, marschierte er über den Spittelberg zur Mariahilfer Straße und stieg dann über die Fillgrader Stiege, eine innerstädtische Treppenanlage im modernen sezessionistischen Stil, hinab ins Wiental. Im Café Dobner vis-à-vis des Naschmarktes genoss er ein Frühstück mit zwei Eiern im Glas und einem dicken Butterbrot, das in appetitliche Schnitten zerteilt war. Mit Bedacht streute er auf jede dieser Schnitten eine winzige Prise Salz. Dazu schlürfte er nun schon seine zweite Melange. Und da er nichts Besseres zu tun hatte, griff er zur ›Neuen Zeitung‹, deren Titelblatt ein Portrait Kaiser Franz Josefs sowie eine Szene aus der Wiener Neustädter Militärakademie zierten.
»Jessas, heut ist ja der 18.! Der Kaiser hat Geburtstag…«, murmelte Budka und überflog mit Widerwillen den zur Illustration passenden Leitartikel. Die folgenden Absätze stachen ihm besonders ins Auge:
Die Empfindungen, die der achtzehnte August in uns Oesterreichern weckt, können sich nicht verändern, sondern nur immer mehr vertiefen, je öfter wir diesen Tag schon erlebt haben.
Unser Kaiser hat die große geschichtliche Aufgabe, welcher er sein ganzes Leben hingegeben hat, noch zu vollenden und so sein Werk zu krönen. Er ist dazu berufen, die schweren und langwierigen Kämpfe, welche die Emporentwicklung des alten Oesterreich zum modernen Staatswesen begleiteten und hemmten, zum Abschluß zu bringen und den Völkern, die an diese Kämpfe ihre besten und edelsten Kräfte verschwendet haben, die beglückende Aussicht auf eine lange Epoche inneren Friedens, schöpferischer Arbeit und reicher Kulturblüte zu eröffnen.
Aber nicht nur für Oesterreich allein, auch für ganz Europa ist unser Kaiser eine Persönlichkeit von tief- und weitreichender Bedeutung. Friede ist in ihm und Friede geht von ihm aus…
»In Ewigkeit, Amen…«, brummte Budka und ärgerte sich. Je älter der Kaiser wurde, desto sakraler fielen die Lobhudeleien zu seinen diversen Jubiläen aus. »Jetzt fehlt nur noch, dass sie ihn irgendwann einmal selig sprechen…«, grummelte er und sein Blick fiel auf den zweiten Artikel, der sich auf der Titelseite der ›Neuen Zeitung‹ befand und dessen Überschrift ›Der Schacher ums Fleisch‹ lautete:
Die Vertreter der österreichischen Regierung sind resultatlos aus Budapest zurückgekehrt. Die Herren, welche die magyarische Regierung vertreten, sind wirklich von dem Irrtum beseelt, dass sie glauben, wegen der Einfuhrbewilligung von 800 Tonnen argentinischen Fleisches wird Oesterreich sich vollkommen ausplündern lassen.
Ungarn fordert einen ganzen Rattenschwanz von Entschädigungen für die Zustimmung, dass das gefrorene Fleisch »nicht seuchenfrei«
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