Mord und Brand
sei.
»Entschuldigen Sie, ist da noch ein Platz frei?«
Budka sah von der Zeitung auf, wunderte sich, warum der elegant gekleidete Herr sich gerade zu ihm an den Kaffeehaustisch setzen wollte, grunzte ein nicht sehr begeistert klingendes »Bitteschön…« und widmete sich weiter der Lektüre:
Erstens wollten die Magyaren die Zustimmung zu dem Annaberger Anschlusse an die Kaschau-Oderberger Bahn, zweitens massenhaft tarifarische Konzessionen, drittens eine Vereinbarung über die Behandlung magyarischer Schiffahrtsunternehmungen in Oesterreich und viertens allgemeine wirtschaftliche Zugeständnisse erreichen.
Wir haben schon wiederholt betont: Das berüchtigte Beck’sche Geheimabkommen betrifft nur Vorsichtsmaßnahmen gegenüber einer Verseuchung des österreichisch-ungarischen Viehes. Da eine Seuchengefahr bei der Einfuhr gefrorenen Fleisches nicht vorliegt, hat Ungarn gar keinen Rechtstitel, ein Veto einzulegen. Es war daher von Seite der früheren Regierung ein taktischer Fehler, dass man sich bezüglich der Einfuhrbewilligung gefrorenen Fleisches überhaupt in Verhandlungen mit Budapest eingelassen hat. Wenn nun die magyarischen Zwischenhändler erklären, dass sie eine Einfuhr der 800 in Triest gelagerten Tonnen geschlachteten Fleisches ohne Erledigung aller magyarischen Forderungen nicht bewilligen können, so ist das nicht nur vom rechtlichen Standpunkte total unbegründbar, vom staatspolitischen aber stellt diese Sucht, Zugeständnisse zu erpressen, einen beispiellosen Skandal dar…
Kopfschüttelnd ließ Budka die Zeitung sinken und dachte sich: ›Da schreiben s’ einerseits von einer langen Periode inneren Friedens und dann streiten die Ungarn und die Österreicher wegen ein paar hundert Tonnen gefrorenen Fleischs auf Mord und Brand. Das ist alles so verlogen…‹ Kopfschüttelnd nahm er einen großen Schluck Kaffee und legte angewidert die Zeitung weg.
»Und was schreibt das christlichsoziale Hausmeisterblatt?«, fragte der feine Herr plötzlich. Budka sah sich den Kerl das erste Mal genau an und war irritiert. Irgendwie kamen ihm Stimme und Diktion bekannt vor. Aber das gesamte Erscheinungsbild passte so gar nicht… Sein Gegenüber genoss Budkas Verwirrung. Er lächelte maliziös, nahm die Brille mit Goldrand ab und strich sich genussvoll über den vollen, graumelierten Bart. Und da erkannte ihn Budka. Er lehnte sich zurück, grinste und sagte leise:
»Mein Gott, Frantisek… Dass du dich im Laufe des heurigen Jahres sehr verändert hast, is’ mir schon früher aufg’fallen. Dass du aber jetzt in so einer feinen Schal’n umadum rennst und auf Professor tust, das haut mich aus die Böck 125 .«
Oprschalek beugte sich zu ihm vor und sagte ebenfalls leise:
»Ich hab a lausige Zeit hinter mir. Aber des is, Gott sei Dank, vorbei. Jetzt führ ich das Leben eines wohlsituierten Privatiers. Und mit dem Vollbart und der Brille hast nicht einmal du mich erkannt. Das war für mich a ganz wichtiger Versuchsballon. Wenn meine Verkleidung bei dir nix gefruchtet hätt’, müsst’ ich in Zukunft mehr aufpassen. Aber so…«
Oprschalek lachte.
»Fast hättest mich nicht einmal an deinen Tisch setzen lassen… Herrgott, das war köstlich. Weißt, wie ich mich zusammenreißen hab’ müssen, dass i net losgebrüllt hab’ vor Lachen?«
Budka lachte nun auch. Sie bestellten jeder eine Melange und Oprschalek schilderte Budka, was er seit seiner Flucht aus dem Hotel Hungaria erlebt hatte. Und während Oprschalek erzählte, fraß Budka der Neid. Ja, er selbst hatte es auch recht gut getroffen. Er konnte sich nicht beklagen. Aber das unverschämte Glück, das der Oprschalek gehabt hatte, als er in dem Firmentresor 20.000 Kronen gestückelt in 100-Kronen-Scheinen gefunden hatte, schwanzte 126 Budka. Und plötzlich kroch die massive Antipathie, die er schon vor dessen Flucht für ihn empfunden hatte, wieder hoch. Dieser Kerl hatte wirklich ein unverschämtes Massel! Sogar der Verhaftung, die aufgrund des Zunds, den er dem Redakteur Goldblatt gegeben hatte, in die Wege geleitet worden war, hatte er sich entziehen können. Budka war erleichtert, als Oprschaleks Sermon endlich versiegte. Schweigend saßen sie sich eine Zeit lang gegenüber. Plötzlich beugte sich Oprschalek vor, berührte vertraulich Budkas Arm und sagte:
»Weißt was? Ich lad’ dich zum Essen ein. Und zwar in die ›3 Hacken‹. Dort hat schon der Nestroy verkehrt. Das ist mein Stammbeisl. Weil, ich wohn’ ja jetzt im 1. Bezirk.«
Budka
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