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Mord und Brand

Mord und Brand

Titel: Mord und Brand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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gelangt war. Hier waren einige Holzboote gelegen. In eines davon war er gekrochen, hatte sich wie ein Baby in seinen patschnassen Kleidern eingerollt und war in einen Erschöpfungsschlaf gefallen. Gegen Mittag hatte ihn die Sonne, die gnadenlos vom wolkenlosen Himmel brannte, aufgeweckt. Benommen war er zuerst den Donaukanal und dann die Nottendorfer Straße entlanggewankt. Von rasendem Hungergefühl gequält und völlig ausgedörrt durch das Schlafen in der prallen Sonne. Am Ende der Straße war er in ein Gasthaus gegangen und hatte vier Krügeln Bier getrunken, sowie eine Leberknödelsuppe und ein großes Gulasch mit einem ebensolchen Semmelknödel verschlungen. Danach war er weitergeirrt: Vorbei am Zentralviehmarkt St. Marx und am Arsenal bis hin zu den Ziegelöfen am Laaer Berg.
     
    Die Luft um ihn herum war wie ein einziger feuriger Atem. Die Erinnerung an seine Flucht ließ ihn nicht einschlafen. Er wälzte sich auf dem harten Lager in eine andere Stellung und döste im Halbschlaf vor sich hin. Der Boden unter ihm vibrierte und bebte. Es grollte und grummelte permanent und immer wieder ertönte ein scharfer, zischender Laut, der mit einem klagenden Ton aus der Tiefe des Ziegelofens emporschallte. Oprschalek übernachtete im Schürraum eines Ziegelofens am Rande des Laaer Bergs. Hier an der südlichen Grenze Wiens hatte er sich verkrochen, nachdem er wie Freiwild von diesem verdammten Inspector Nechyba gejagt worden war. Auf den Schürböden übernachteten auch andere Griasler, die aber keine Kontakte zu ihren Schicksalsgenossen in der Stadt, geschweige denn zur Polizei, hatten. Untertags trieb er sich jetzt meist im Laaer Wald, auf den dortigen Wiesen sowie im Böhmischen Prater herum. Unter den Ziegelbehm 122 , die hier lebten und die in den Ziegeleien unter katastrophalen Arbeitsbedingungen ihre Hungerlöhne verdienten, fiel er nicht auf. Auch deshalb, weil er eine Handvoll tschechische Redewendungen und Ausdrücke kannte, die ihm seine Großmutter als Kind beigebracht hatte. Sorgen bereitete ihm allerdings die Tatsache, dass sein Geld allmählich zur Neige ging. Große, drückende Sorgen…
    »Schluss! Aus!«
    Mit diesem Aufschrei schrak er aus dem Halbschlaf empor. Nein, so wollte er nicht weiterleben. Er taumelte zum Ausgang des Schürbodens, stieg die steile Treppe hinunter und wankte verschlafen hinaus in die morgendliche Kühle. Er streckte sich, dass die Knochen und Gelenke krachten und strich sich übers Gesicht. Dort, wo früher glatt rasierte Haut gewesen war, wucherte es jetzt dicht und graumeliert. Er befühlte das üppige Barthaar rund um sein Gesicht und war plötzlich erleichtert. Mit diesem Bart würde ihn so schnell keiner erkennen. Die Zeit des Untertauchens und Versteckens war vorbei. Mit seinem neuen Gesicht konnte er sich wieder unter die Menschen wagen, ohne erkannt zu werden. Voll Zuversicht stapfte er los. Sein Weg führte ihn durch das öde Areal des Ziegelwerks, wo links und rechts Bretterbuden standen, in denen Ziegel gelagert wurden. Er ließ den Laaer Berg samt seinem Elend hinter sich und wanderte in Richtung Stadt. Auf der rechten Seite erhob sich ein Fabriksgebäude, aus dem es nach Lacken und Ölen roch. Ein Automobil bog in die Fabrikseinfahrt und er erhaschte im Fond das Gesicht eines soignierten Herrn, der Zeitung las.
    »Der Herr Direktor lässt sich ins Büro fahren. Der Hurenkapitalist der…«, murmelte Oprschalek und spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Mit diesem Gefühl kam auch die Lust wieder, Feuer zu legen. Er bog von der Laaer Straße ab und umrundete die Fabrikanlage. Er musste nicht lange suchen, um eine Stelle im Bretterzaun zu finden, die morsch und ausgebrochen war. Ohne lange nachzudenken, trat er die angrenzenden Bretter ein und zwängte sich durch das so entstandene Loch. Vorsichtig sah er sich auf der anderen Seite des Zauns um: Keine Menschenseele, weit und breit nur Lagerschuppen, unzählige Fässer, Planken, eine Schubkarre, einige Schaufeln und allerlei Gerümpel. Mit dem Fuß stieß er an einen Holzkübel, der wegkollerte und seitlich liegen blieb. Eine Flüssigkeit tropfte träge heraus. Oprschalek hockte sich daneben und schnupperte. Sie roch nach Harz. Mit zitternden Fingern, wie ein Alkoholiker, der nach einer längeren Periode der Trockenheit endlich wieder ein Stamperl Schnaps vor sich stehen sieht, holte er eine Schachtel mit Schwefelhölzern aus seiner Sakkotasche. Er entnahm ein Streichholz, entzündete es und warf es in einem neckischen

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