Mord und Mandelbaiser
Sie war auf einen Mercedes älteren Modells aufmerksam geworden, der aus der Garage neben dem Wohnhaus rangierte. Dort, wo zuvor der Leichenwagen gestanden hatte, hielt er an, und Thekla beobachtete, wie Rudolf Westhölls Frau Lore der Witwe des Dichters in den Fond half.
»… edle Särge äußerst selten …«, bekam sie dabei halbwegs mit, was Pfeffer sagte.
Nicht nur dieser Pfeffer scheint vom Tod des Dichters zu profitieren, dachte sie. Oder was gäbe es sonst für einen Grund dafür, dass sich das Ehepaar Westhöll gemeinsam herbemüht hatte? Verwandt waren sie ja nicht mit den Lanzens. Oder doch? Nein, das hätte Hilde erwähnt.
»… wunderschöne Urnen«, schwärmte Pfeffer gerade, »handbemalt mit Motiven aus Stadt und Land, für alle diejenigen, die eine Einäscherung der Erdbestattung vorziehen.«
»Das Geschäft mit dem Tod scheint ja zu florieren«, teilte ihm Thekla das Ergebnis ihrer Gedankengänge mit.
Pfeffer sah sie ernst an. »Warum für jeden Wahnwitz Geld ausgeben und ausgerechnet an denen sparen, die einem lieb und teuer waren, solange sie lebten? Ist es nicht ein gutes Gefühl, Mutter oder Vater in Samt und Seide gehüllt zu wissen, wenn sie ihre letzte Reise antreten? Natürlich kann man auch für sich selbst Vorsorge treffen und ganz genau bestimmen, wie man nach dem Hinscheiden gebettet sein will.«
Thekla schmunzelte. Dieser Bestattungsartikelvertreter war offenbar ein Naturtalent. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich den Katalog mit den handbemalten Urnen von ihm zeigen lassen.
Stattdessen sagte sie: »Erstaunlich, was man sich an Extravaganzen leisten kann, wenn man sein ganzes Leben lang nichts anderes getan hat, als Verse zusammenzureimen.«
Pfeffer hob geradezu entrüstet die Brauen. »So dürfen Sie das nicht ausdrücken, Frau Stein. Hermann Lanz war ein begnadeter Poet. Beweist der heutige Tag nicht deutlich genug, wie viele Verehrer er hatte?«
Während sie sich fragte, woher Pfeffer ihren Namen kannte, betrachtete Thekla noch einmal die Hausfassade und die Blumenbeete, die der Zufahrt entlang angelegt waren, als ihr plötzlich Hilde und Wally ins Blickfeld gerieten, die neben einer rosenumrankten Aphrodite standen, als müssten sie die Statue bewachen. Pfeffer schien die beiden ebenfalls entdeckt zu haben.
»Ihre beiden Freundinnen haben wohl auch nicht vor, den Dichter zu begleiten.« Er fasste Hilde näher ins Auge und runzelte die Stirn. »Frau Westhöll wirkt irgendwie angegriffen. Ist sie etwa krank? Oder gibt es Probleme im Bestattungsinstitut?« Deutlich verlegen fügte er hinzu: »Als Sie sich heute Nachmittag im Krönner unterhalten haben, war nicht zu übersehen, wie aufgeregt sie war.«
Weil Thekla nicht gleich antwortete, fuhr er mit zerknirschter Miene fort: »Entschuldigen Sie, ich wollte nicht neugierig sein, aber mein Geschäft macht mich quasi abhängig von den Bestattungsinstituten. Da will man natürlich wissen, was sich tut. Es ist ja schon länger die Rede davon, dass Rudolf …« Er wusste nicht weiter.
Thekla wollte nicht unhöflich sein. »Hilde und ihr Neffe haben vielleicht unterschiedliche Auffassungen darüber, wie viel Zartgefühl den Verstorbenen und deren Hinterbliebenen gegenüber angebracht ist, aber ansonsten arbeiten sie vertrauensvoll zusammen.«
»Verstehe«, erwiderte Pfeffer. »Rudolf betrachtet seine Tante nach wie vor als seine beste Ratgeberin.« Nachdenklich blickte er die Zufahrt hinunter, wo sich die Autos der Trauergäste bis zur Hauptstraße stauten.
Auf einmal zuckte er zusammen und verabschiedete sich hastig mit den Worten: »Es sind ja schon alle unterwegs zum Friedhof. Da muss ich mich wohl sputen. Auf Wiedersehen, und verzeihen Sie mir die plötzliche Eile.«
Thekla machte eine bedauernde Geste. »Meine Schuld, wenn Sie zu spät kommen. Ich hätte Sie nicht aufhalten dürfen.«
Im nächsten Moment war Pfeffer verschwunden.
Auf dem gepflasterten Vorplatz war es still und leer geworden. Nur ein leises Plätschern ließ sich noch vernehmen. Thekla versuchte, die Herkunft des Geräusches ausfindig zu machen, und entdeckte inmitten eines Blumenbeetes einen gut tischhohen Rosenquarz, aus dem Wasser in ein muschelförmiges Becken sprudelte, in dem sich Putten räkelten.
»Herzallerliebst, nicht wahr?« Hildes Stimme troff vor Hohn.
Thekla drehte sich zu ihr um. Hildes Blick ruhte mit einem Ausdruck schieren Ekels auf dem Zierbrunnen, während Wally geradezu ehrfürchtig wirkte.
»Was für ein wunderschöner
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