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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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will schon gegen so etwas anstinken«, brummte Hilde. »Allerdings frage ich mich, weshalb er in einer Klapperkiste von Lieferwagen herumfährt, löchrige Jeans trägt und so ungepflegt wirkt, als würde er in einer Felsenhöhle am alten Steinbruch hausen, wenn sich seine Machwerke derart gut verkaufen.«
    Missmutig begann sie, ein Gefäß nach dem anderen auszupacken. Als sie ein braunes Urnen-Unikat, verziert mit Traktor samt Mähwerk, in den Händen hielt, fragte sie sich, ob dieses Ding nicht eher auf die Landwirtschaftsausstellung gehörte oder in eine dieser Dokusoaps.
    »Heute sucht Bauer noch Frau«, murmelte sie. »Morgen schon Urne.«
    Nachdem sie alle Aschegefäße ausgewickelt und verstaut hatte, trug sie die leeren Kartons durch die hintere Tür in den Hof hinaus. Rudolfs Gehilfe würde den ganzen Papiermüll später zum Container bringen.
    Auf dem Weg zurück hörte sie, wie Lore in ihrem Büro telefonierte. Hilde spitzte die Ohren und brauchte nicht lange, um in Erfahrung zu bringen, dass der ehemalige Filialleiter der Granzbacher Sparkasse verstorben war.
    Parkinson, nickte sie vor sich hin. Der Mann litt ja schon seit Jahren an Parkinson.
    Das ist der vierte Todesfall in dieser Woche, ging es ihr durch den Kopf. Erstaunlich viel für ein Nest wie Granzbach. Versonnen trat sie wieder in den Ausstellungsraum. Früher, als Gregor und ich das Bestattungsinstitut noch leiteten, hatten wir manchmal nur vier pro Monat, dachte sie.
    Fraglos war Granzbach – ebenso wie Moosbach und Scheuerbach – in den letzten zwanzig Jahren enorm gewachsen. Die drei Orte lagen verkehrstechnisch recht günstig zwischen Donau, Autobahn und Schienenstrang, weshalb sich im Umkreis etliche Firmen angesiedelt hatten. Da sich die Grundstückspreise danach noch immer in einem bezahlbaren Rahmen bewegten, waren auch viele Privathäuser gebaut worden.
    Aber es sind doch ausschließlich junge Familien hergezogen, überlegte Hilde, wie kann die Todesrate da derartig zunehmen?
    In Gedanken ließ sie die Verstorbenen, mit deren Beerdigung das Bestattungsinstitut Westhöll in den letzten Wochen beauftragt worden war, Revue passieren: ein Unfallopfer, dreißig Jahre alt, ein Fall von plötzlichem Kindstod, ein Selbstmörder Mitte zwanzig, sechs Pflegefälle, die im Alter zwischen achtzig und neunzig nach längerem Siechtum gestorben waren – drei davon hatten laut Rudolf jene seltsamen Flecken an den Knie-Innenseiten.
    Gegen den Unfalltod, den Kindstod und den Selbstmord ist nichts zu sagen, dachte Hilde. Aber gleich sechs von den Alten? Das liegt weit über dem Durchschnitt, zumal man ja bedenken muss, dass kaum Familien samt Großmutter und Großvater zugezogen sind. Und nur bei den Alten sind diese Flecken aufgetaucht.
    Sie versuchte, das Wort auszublenden, das in ihrem Kopf wie eine Neonreklame zu blinken begonnen hatte: Sterbehilfe.
    »Verflucht und zugenäht«, rief sie, »wir müssen herauskriegen, wodurch sie verursacht werden.«
    Müsste Thekla nicht inzwischen mit ihrem Bruder gesprochen haben? Hilde beschloss, sie auf der Stelle anzurufen, und eilte in ihr Büro. Dort zögerte sie einen Moment. Wann hatte sie je mit Thekla telefoniert? Seit Jahrzehnten trafen sie sich mittwochs im Krönner zum Kaffeekränzchen, pflegten ansonsten jedoch keinen Kontakt zueinander. Wozu auch? Was man sich zu erzählen hatte, konnte bis zum jeweils kommenden Mittwoch warten. Diesmal allerdings nicht. Im Moment herrschte Ausnahmezustand – so wie damals, als Wally die Fahrten nach Straubing verwehrt werden sollten.
    Wie zu erwarten, geriet Hilde an den Anrufbeantworter, als sie die Privatnummer der Steins wählte. Wütend knallte sie den Hörer auf die Gabel und suchte sich den Telefonanschluss der Apotheke heraus.
    Martin Stein meldete sich und teilte Hilde mit, dass Thekla schon seit Stunden beim Zahnarzt sitze. Zwei ihrer Backenzähne müssten neu überkront werden.
    »Hat Sie mit Ihnen über die Flecken gesprochen?«, fragte Hilde.
    »Welche Flecken?«
    Hilde würgte zähneknirschend einen Abschiedsgruß heraus und legte auf.
    Wieder zurück im Ausstellungsraum schloss sie die Glastüren der Vitrine so rabiat, dass es gefährlich schepperte. Das brachte sie zur Räson.
    Vielleicht hat Stenglich ja doch recht, sagte sie sich, wenn er von Allergien spricht. Ist nicht laufend die Rede von gefährlichen Umweltgiften? Wer weiß, was unsere Industriebetriebe alles in den Moosbach kippen, im Boden versickern lassen und in die Atmosphäre blasen.

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