Mord und Mandelbaiser
–«
Thekla unterbrach sie ungerührt. »Ihr habt euch also auch ausgeklinkt.«
Wally zuckte zusammen. »Ich …«, begann sie zögernd, »ich muss doch zu Hause sein, bevor …«
Mit einem Nicken ersparte ihr Thekla weitere Erklärungen. Sie wusste ganz genau, dass Wally das Abendbrot auf den Tisch zu bringen hatte, sobald ihr Mann den Feierabend einläutete, indem er die Eingänge zur Tischlerei versperrte.
Das ist halt der Preis, dachte Thekla, den Wally zahlen muss für … ja, wofür denn eigentlich? Dass sie sich von ihrer ganzen Familie als Fußabtreter behandeln lassen darf?
»Und ich finde«, sagte Hilde, »dass das Bestattungsinstitut Westhöll eindeutig überrepräsentiert wäre, wenn auch ich noch am Leichenschauhaus auftauchen würde.«
»Lore bemüht sich ja sehr um die Witwe«, sprach Thekla aus, was ihr zuvor schon durch den Kopf gegangen war.
Hilde klatschte die Hände zusammen, verschränkte sie und hielt sie Thekla beschwörend entgegen. »Für das, was die Lanz bei Westhöll bestellt hat, müsste ihr Lore jeden Tag den Hintern wischen.«
»Kostspielig?«, fragte Thekla, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
»Pompös! Rudolf kann sich vor Begeisterung kaum fassen«, erwiderte Hilde. »Massenweise Lilien, Kondolenzbuch, professioneller Trauerredner, weiße Handschuhe für die Sargträger, Waldhornquartett …«
Wally zupfte an Hildes Ärmel. »Ich muss jetzt ganz dringend heim.«
»Schon gut«, beruhigte Hilde sie. »In fünf Minuten bist du zu Hause.«
Die beiden wandten sich zum Gehen. Nach ein paar Schritten drehte sich Hilde jedoch noch mal zu Thekla um und sagte rasch: »Denk dran, deinen Bruder nach diesen seltsamen Flecken zu fragen.«
Thekla öffnete bereits den Mund, um von ihrem Gespräch mit Friesing zu berichten, überlegte es sich jedoch anders.
War es nicht besser zu warten, bis Friesing sich vergewissert hatte? Wozu Hilde, ganz zu schweigen von Wally, verfrüht mit dem … Sie schluckte, wagte das Wort »Giftmord« nicht einmal zu denken … mit der »Fehldosierung« zu konfrontieren?
Hilde hatte indessen weitergesprochen: »Vorhin beim Aufmarsch bin ich mit Stenglich zusammengetroffen und habe ein wenig auf den Busch geklopft. Er hat mir unbedacht verraten, dass Lanz ständig Medikamente einnehmen musste, weil er unter zu hohem Blutdruck litt. Frag Martin, ob die einschlägigen Mittel Flecken an den Knie-Innenseiten machen.« Damit eilte sie davon.
Thekla war stehen geblieben und starrte auf die fetten Geranien, die wie ein dicker Vorhang vom Balkon herunterhingen.
Klarheit, dachte sie, könnten wir nur dann bekommen, wenn wir ins Leichenschauhaus einbrechen, den Sarg des Dichters öffnen, der Leiche Blut entnehmen und es auf Barbitursäurederivate untersuchen lassen würden.
Vom Balkon schwebte ein rotes Blütenblatt herunter. Thekla fing es auf und rieb mit Daumen und Zeigefinger über die samtige Oberfläche.
Einbruch, Sachbeschädigung, Leichenfledderei, ging es ihr durch den Sinn. Nein, dazu würde sich nicht einmal Hilde hinreißen lassen. Und sie selbst wäre die Allerletzte, die Hilde dazu anstiftete, um dann gezwungenermaßen mitzumachen.
Sie warf das Blütenblatt weg und schüttelte sich wie ein nasser Hund, als sie sich vorstellte, nachts auf dem Friedhof herumzuschleichen, die Tür des Leichenschauhauses einzuschlagen und den toten Dichter zur Ader zu lassen.
»Stell dir das mal vor, Martin«, sagte sie laut, ohne zu bemerken, dass sie wieder in die Marotte verfiel, mit ihrem gar nicht anwesenden Bruder zu sprechen. Eine Angewohnheit, die sie ständig in die Bredouille brachte, denn Thekla wusste so gut wie nie, was sie mit Martin tatsächlich besprochen hatte und was nicht. Das hatte schon ein paarmal zu sehr unangenehmen Pannen geführt. Bestellungen waren nicht abgeliefert, Telefonate nicht beantwortet worden. Als Thekla irgendwann einsah, dass sich die Steins solche Schnitzer nicht leisten konnten, war es längst zu spät gewesen, ihre Untugend wieder abzulegen. Deshalb hatte sie sich angewöhnt, wichtige Informationen auf Notizzettel zu schreiben, die sie im Flur an eine Pinnwand heftete.
Thekla konnte sich denken, was Martin dazu zu sagen haben würde. »Einbruch? Leichenfledderei? Schwesterherz, du fängst ja bereits an zu hyperventilieren, wenn eine Spinne über deinen Arm krabbelt. Du hättest die Hohlnadel für die Blutentnahme noch nicht einmal gezückt und würdest schon ohnmächtig über dem Sarg hängen.«
Seufzend musste Thekla
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