Mord und Mandelbaiser
Sind wir nicht dauernd Unmengen von Giftstoffen ausgesetzt, die uns krank machen, allergische Reaktionen verursachen und zu einem vorzeitigen Tod führen?
Sie griff nach dem Lieferschein für die Urnen, um ihn mit in die Registratur zu nehmen, wo er abgeheftet werden musste. Als sie auf dem Weg dorthin am rückwärtigen Fenster vorbeikam, fiel ihr Blick in den Hof und blieb an dem erst vor wenigen Wochen neu angeschafften Grabbagger hängen.
ROBO 350 AS , blitzte es in Hildes Gedanken auf. Eine Welle von Besitzerstolz überschwemmte sie. Es war kein Fehler gewesen, Rudolf das Geschäft zu übergeben. Er wusste es zu perfektionieren.
Neben dem schlanken Bagger stand der ebenfalls neu angeschaffte Lastkraftwagen, der die Aufgabe hatte, ROBO an seinen jeweiligen Einsatzort zu transportieren.
Neun Tonnen, zweihundertzehn PS , Länge acht Meter fünfzig, Breite zwei Meter vierzig. Extragroße Fahrerkabine mit Platz für zwei Mann. Standheizung. Hilde kannte sämtliche Details des Lasters, weil Rudolfs Gehilfe sie fortwährend herbetete wie ein Mantra.
Sie schaute dem Gehilfen zu, wie er seine beiden Lieblinge mit einem Mikrofasertuch umkreiste, hier ein Stäubchen wegpolierte, dort an einem Fleckchen wienerte. Offenbar hatte er die Fahrzeuge zuvor mit dem Hochdruckgerät gereinigt, denn sie glänzten mindestens so blank wie an dem Tag, an dem sie angeliefert worden waren.
Ein kleines, ein wenig boshaftes Lächeln kräuselte Hildes Lippen. Freundchen, dachte sie, gleich wird dein Vergnügen mit dem Blechspielzeug vorbei sein. Gleich wird man dich zu dem toten Sesselfurzer von Sparkassenleiter beordern. Den kannst du dann mit einer Ladung Bio Air aufmöbeln.
Hilde mochte den Gehilfen ihres Neffen nicht besonders. (Die Frage, ob sie überhaupt jemanden mochte, mag unbeantwortet bleiben.) Was sie an Egon Pfeffer in erster Linie ärgerte, war, dass es offenbar nichts gab, womit er sich nicht auszukennen glaubte. In ihren Augen kam das purer Selbstüberschätzung gleich. Dummerweise schien Rudolf von Pfeffers Klugscheißerei beeindruckt und ließ ihn für Hildes Geschmack im Bestattungsinstitut viel zu anmaßend auftreten. Und Egon Pfeffer nützte das weidlich aus.
Dieser Zustand war inzwischen so weit gediehen, dass sich Pfeffer für unersetzlich hielt, während er für Hilde allenfalls noch ein mitleidiges Lächeln übrig hatte. Denn gewiss hatte er gemerkt, dass Rudolf manchmal nahe daran war, ihr in den Räumen des Bestattungsinstituts Hausverbot zu erteilen. Sie hatte ja kein verbrieftes Recht, sich dort aufzuhalten. Und so sehr Rudolf anfangs auf ihren Rat und ihre Unterstützung angewiesen war, so gut kam er inzwischen ohne sie zurecht – meistens jedenfalls. Aber wie hätte denn Hilde einfach loslassen können? Das Bestattungsinstitut Westhöll war das einzige Kind, das sie und ihr Mann in die Welt gesetzt hatten. So ein Kind überließ man doch nicht mir nichts dir nichts einem andern. Man wollte doch miterleben, wie es sich weiterentwickelte, und man wollte auf seine Entwicklung gerne fernerhin Einfluss nehmen, auch wenn es inzwischen auf eigenen Füßen stand.
Soeben hatte Pfeffer seine Polierarbeiten an der Karosserie des Lastwagens beendet. Wichtigtuerisch schritt er jetzt auf das Nebengebäude zu und öffnete die Türflügel zum Lagerraum.
Lieferung gefällig, dachte Hilde.
Bereits im nächsten Augenblick bog ein geschlossener Transporter in den Hof ein, dem Oskar Pfeffer entstieg.
Als Oskar anfing, das Bestattungsinstitut zu beliefern, hatte Hilde den Gehilfen einmal gefragt, ob er mit ihm verwandt sei oder ob die Namensgleichheit auf Zufall beruhte.
Die Antwort war recht bruchstückhaft und ziemlich brummig ausgefallen. »Eine Tante von mir hat ihn ledig gehabt. Schwere Zeit gewesen, damals. Wirklich nicht leicht. Alles andere als ein Zuckerlecken. Musste sterben, als der Bub noch keine drei war.«
Hilde hatte sich erkundigt, von wem der Oskar nach dem Tod der Mutter aufgezogen worden war, und Pfeffer hatte ihr lakonisch mitgeteilt: »Vom Vater und der Stiefmutter.«
Oskar war also väterlicherseits angenommen, aber offensichtlich nicht adoptiert worden.
Anfangs hatte Hilde gemeint, Egon Pfeffer habe seinen Cousin in der Bestattungsbranche untergebracht. Aber je öfter sie die beiden zusammen sah, desto mehr gelangte sie zu der Ansicht, dass Egon mit gerunzelter Stirn auf Oskars Handel mit Pietätsartikeln blickte. Wie auch immer, Oskar war mit dem Bestattungsinstitut Westhöll dick ins
Weitere Kostenlose Bücher