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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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zupfte hier, glättete dort. Daran merkte Hilde, dass sie gekommen war, um etwas mit ihr zu bereden, und beendete – sobald ihre Auffassung von Höflichkeit es zuließ – das Telefongespräch.
    »Rudolf wird in spätestens einer Stunde zurück sein«, sagte Lore. »Er hat gerade angerufen und gesagt, dass er eben an der Ausfahrt Landshut vorbeigefahren ist. Ich würde gern –«
    Hilde unterbrach sie. »Geh nur.« Sie zwinkerte ihr zu. »Ich verrate ihm kein Wort davon, dass du gleich nach seinem Anruf losgezogen bist.« Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu grinsen. Wenn ihr Neffe wüsste, wie oft sie hier allein die Stellung hielt!
    »Danke«, sagte Lore und schlüpfte hinaus. Sie trug bereits Radlerhosen und eine Windjacke.
    Rudolf konnte seiner Frau die Radtouren, die sie beinahe täglich unternahm, schwerlich verbieten. Er versuchte jedoch mit allen Mitteln, sie einzuschränken. »Bleib nicht zu lange fort! Fahr nicht zu weit«, lauteten seine ständigen Ermahnungen, die einzig und allein zur Folge hatten, dass Lore sich hier ein Stündchen stahl und dort eine Besorgung vorschob, die sie nie machte. Wenn Rudolf zurückkam, würde Hilde so tun, als wäre Lore eben erst losgeradelt.
    Durchs Fenster beobachtete sie, wie Lore draußen im Hof ihren Helm aufsetzte, sich aufs Rad schwang – und zögerte. Nanu, staunte Hilde, normalerweise legt sie doch los wie Lance Armstrong. Lore schien zu überlegen, was sie tun sollte.
    »Fahr schon, Mädel«, brummte Hilde. »Die Zeit läuft.«
    Aber Lore rutschte im Sattel herum, fummelte am Lenker, hob und senkte die Schultern. Endlich, als Hilde ihr schon ein »Stimmt was nicht?« zurufen wollte, trat sie in die Pedale.
    Beruhigt wandte sich Hilde wieder den Schriftstücken auf ihrem Schreibtisch zu. Den Besuch bei Frau Kaltenbach würde sie zwar um ein Stündchen verschieben müssen, aber das ließ sich hinnehmen. Sie gönnte Lore die Unternehmung, und sie gönnte es Rudolf, überlistet zu werden, obwohl sie im Grunde seiner Meinung war. Radsport ist ja gut und schön, dachte sie, aber Lore übertreibt es. Sie übertreibt es maßlos. Für die Strecke, die sie in den kurzen Abendstunden herunterspult, braucht ein rüstiger Sonntagsradler den ganzen Tag.
    Hilde besaß selbst ein Trekkingrad, und an sonnigen, nicht zu heißen Nachmittagen fuhr sie gern ein paar Kilometer den Donauradweg hinauf oder hinunter. Meistens radelte sie ihn stromaufwärts nach Moosbach, wo sie dann in der Stein’schen Apotheke ihre Kalziumbrausetabletten kaufte und ein Schwätzchen mit Thekla hielt.
    Lore fuhr – das konnte man aus der Richtung, die sie vom Bestattungsinstitut aus einschlug, folgern – immer flussabwärts. Hilde hatte sie eines Tages gefragt, warum. Lore hatte ihr daraufhin auf der Karte die Strecke gezeigt, die sie bei ihrer Radtour bewältigte. Die Route verlief an der Donau entlang bis Deggendorf und von da weiter auf der Hengersberger Straße Richtung Seebach bis zur Abzweigung nach Eichberg, die linkerhand hinter einer Kurve kam. Dort bog Lore in das Sträßchen ein, das steil zum Ort hinaufführt, radelte an den wenigen Häusern vorbei und erreichte nach einiger Zeit eine Kuppe, auf der ein noch schmäleres Sträßchen nach links abzweigte, dem sie bergwärts bis zum Gut Aiderbichl folgte.
    Es kam nicht oft vor, aber Hilde war die Spucke weggeblieben. Was für eine Mammuttour.
    Hilde erhob sich und eilte in Lores Büro, weil sie dort das Telefon klingeln hörte. Keine fünf Minuten später hatte sie einen Kunden vergrault, der beim Bestattungsinstitut Westhöll eine Vorsorgeregelung für seinen eigenen Todesfall treffen wollte. Was musste er aber auch so dumme Fragen stellen. »Wie handhaben Sie es bei einem Vorsorgevertrag mit der Bezahlung?« Ja wie schon? Sicherheitsleistung natürlich. »Ein Vorsorgevertrag ist kein Weihnachtswunsch.«
    Nachdem der Herr ziemlich verschnupft aufgelegt hatte, kehrte Hilde in ihre Fensterecke in der Registratur zurück und sah wenig später Rudolf mit dem Leichenwagen in den Hof einbiegen.
    Er stellte den nagelneuen Mercedes der S-Klasse vor dem Waschhaus ab, weil er seine jüngste Anschaffung nach der langen Fahrt offenbar sofort wieder auf Hochglanz bringen wollte.
    Hilde starrte eine Weile auf den schwarzen Lack des kostspieligen Gefährts und hatte plötzlich wieder den Text in der Werbebroschüre vor Augen: »Komplett abgedichteter Transportraum, Roll-in-Beladesystem für zwei Särge, elegante Linienführung vom Kühler bis zum

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