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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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weichherzig.«
    »Die wenigsten tragen ihre kriminelle Veranlagung wie eine Flagge vor sich her«, antwortete Hilde unbeeindruckt.
    »Das mag ja sein«, entgegnete Elisabeth. »Aber der Alf Meiler ist überall als anständig und rechtschaffen angesehen gewesen. Mit jedem ist er gut ausgekommen, sogar mit meinem Vater, der ein notorischer Stänkerer war.«
    Sie legte die Fingerkuppen der linken Hand an die Stirn, als könne sie die Bilder aus der Vergangenheit so wach werden lassen. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Als Kind bin ich oft über den Zaun zu den beiden Buben aufs Nachbargrundstück geklettert. Alf hat mich beim Spielen immer mitmachen lassen, auch dann, wenn sein Bruder dagegen war, und er hat dafür gesorgt, dass es keinen Streit und keine Balgereien gab. Mein Vater, der jeden anderen als ›Lump‹ oder ›Tunichtgut‹ bezeichnete, hatte für Alf Ausdrücke wie ›gesittet‹, ›rechtschaffen‹.«
    Elisabeth wollte wieder nach den Tellern und Tassen greifen, überlegte es sich jedoch offenbar anders und sprach weiter: »Ich war noch keine sechzehn, als ich von zu Hause weg bin, weil es nach dem Tod meiner Mutter mit meinem Vater nicht mehr auszuhalten war. Erst lang nachdem er gestorben war, bin ich nach Granzbach zurückgekehrt. Mein Mann und ich haben das Elternhaus renoviert und sind eingezogen. Alf hatte inzwischen einen Laden für Elektroartikel eröffnet, den die Ulrike führte. Der Halbbruder kam eigentlich ziemlich regelmäßig zu Besuch, aber er gab mir nie Gelegenheit, ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Obwohl er immer recht höflich grüßte, vermittelte er den Eindruck, dass er keinen Wert auf näheren Kontakt lege.«
    Elisabeth nahm das Geschirr nun resolut auf. »Furchtbar. Wie konnte es mit Alf und seiner Frau nur so ein schreckliches Ende nehmen? Mein Mann und ich fragen uns das schier jeden Tag.« Und bevor sie sich endgültig zum Gehen wandte, fügte sie mit einem wehmütigen Lächeln hinzu: »Die beiden haben Jahr für Jahr den besten und süßesten Birnensaft gemacht, den die Welt je …«
    Sie unterbrach sich, weil Wally mit geradezu verklärter Miene murmelte: »›Süß, zuckersüß‹, das sind Mamas letzte Worte gewesen, nachdem sie den gelben Saft aus der Limonadenflasche gekostet hatte.«
    Hildes Einwurf klang wie ein Schrei. »Limonadenflasche? Birnensaft?«
    Elisabeth nickte ein wenig verwirrt. »Im Meilergarten stehen etliche Birnbäume, die im September zentnerweise Birnen tragen – saftig und süß.« Damit eilte sie davon.
    »Birnensaft«, wiederholte Hilde. »Birnensaft, Birnensaft …« Es war, als könne sie kein anderes Wort mehr herausbringen.
    Langsam fand Thekla Hildes Verhalten besorgniserregend.
    Sogar Wally schien alarmiert. Sie legte beschwichtigend eine Hand auf Hildes Arm. »Was ist? Was hast du denn? Sag doch bitte.«
    Aber Hilde wiederholte bloß »Birnensaft«.
    Da kniff Thekla sie unsanft in den Bizeps, was zur Folge hatte, dass Hilde von einem Beben erschüttert wurde, nach dessen Abebben ein beißender Wortschwall aus ihr herausbrach: »Wenn unser dämlicher, selbstgefälliger, hirnloser, dummdreister Granzbacher Bürgermeister nach dem Tod seiner Mutter meinen Neffen mit dem Bestattungs-Drum-und-Dran beauftragt hätte, anstatt den Moosbachern Aufträge zuzuschustern, die den Granzbachern zustehen, dann hätten wir jetzt vermutlich einen Beweis.«
    »Einen Beweis wofür?«, sagte Thekla.
    Daraufhin setzte sich Hilde zurecht, holte Luft und begann, ihren Besuch bei Frau Kaltenbach recht anschaulich zu schildern. Anschließend teilte sie Thekla und Wally mit, was ihrer Meinung nach bedeutsam, ja geradezu ins Auge springend war.
    Thekla unterbrach sie kein einziges Mal. Auch Wally hörte schweigend zu. Und selbst nachdem Hilde aufgehört hatte zu reden, blieben die beiden still.
    Thekla schwieg, weil das Gehörte konfus in ihrem Kopf herumgeisterte. Letztendlich sagte sie sich, dass Hildes Schlüsse absurd waren.
    »Hilde«, begann sie, »ich fürchte, du hast dich da in etwas verrannt. Was bleibt denn übrig, wenn man deine Geschichte auf die blanken Tatsachen reduziert? Erstens: Die Mutter des Bürgermeisters hat Birnensaft getrunken, der in einer Limonadenflasche abgefüllt war. Zweitens: Sie ist – wie ihrem Zustand nach längst zu erwarten war – gestorben. Das ist alles.«
    Weil Thekla merkte, dass Hilde drauf und dran war, ihr scharf zu widersprechen, machte sie eine Bewegung, als wolle sie einen Schlag abwehren, und fügte streng

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