Mord und Mandelbaiser
schaute genauso unbedarft drein wie die Hasenfamilie in ihrer Gartenrabatte.
Nach einer Weile sagte sie: »Hat dich die Witwe Lanz etwa für Schreinerarbeiten ins Haus bestellt? Sie besitzt ja wunderschöne Möbel – bildschön.«
Sepp Maibier straffte sich, machte mit der Rechten eine unbestimmte Geste, legte die Linke auf Wallys Rücken und schob sie auf die Wohnzimmertür zu, während er sagte: »Ja, so war es. An einer Kommode mussten zwei Scharniere ausgewechselt werden. Bei der Gelegenheit hat mir die Lanz das Fläschchen gegeben und irgendwas vom köstlichen Saft der Meiler-Birnen erzählt.«
»Meiler-Birnen«, wiederholte Wally. »Meiler-Birnen – Birnensaft – Birnensaft …« Es hörte sich an wie ein Remake von Hildes Auftritt im Krönner.
Sepp Maibier steuerte seine Frau zum Wohnzimmersofa. »Leg dich ein Stündchen hin«, schlug er mit ungewohnter Milde vor. »Wir können ja heute ein wenig später zu Abend essen. Ich wollte sowieso noch ein bisschen am Maibaum arbeiten.« Halb mit sich selbst sprechend, fügte er hinzu: »Handarbeit verschlingt eine Menge Zeit. Ein Dreivierteljahr ist schnell um. Außerdem muss das Holz erst gut durchtrocknen, bevor der Feinschliff gemacht werden kann …« Seine Stimme versandete.
Wally hatte sich aufs Sofa sinken lassen und sah mit erstaunten Krötenaugen zu, wie ihr Mann nach der Likörflasche und nach einem Gläschen griff, es voll schenkte und vor sie hinstellte. »Trink, das hast du jetzt wirklich nötig.« Dabei lächelte er sie sage und schreibe an.
Als Wally das Klirren hörte, das beim Zurückstellen der Likörflasche auf die Glasplatte der Kredenz erklang, fiel ihr wieder ein, wie der Getränkefahrer von einem eingedellten Kotflügel gesprochen hatte. Maibiers wohltuendes Gebaren verführte sie dazu, aufs Tapet zu bringen, was ihr dabei durch den Kopf gegangen war.
»Vielleicht ist Lore deshalb verunglückt, weil sie vom Getränkelaster angefahren worden ist.«
Offenbar fiel es Sepp Maibier nicht leicht, seine Gedanken von den bevorstehenden Arbeitsgängen am Maibaum zu befreien, weshalb es eine Weile dauerte, bis er begriff, was Wally gesagt hatte. Dann lachte er bellend.
»Vom Getränkelaster, so, so. Mal dies, mal das. Lass mich raten, was dir als Nächstes einfallen wird: der Müllabfuhrwagen, die Straßenkehrmaschine, das Postauto, der Schulbus. Vielleicht ist Lore Westhöll aber in Wahrheit vom Leichenwagen mit Rudolf Westhöll am Steuer überfahren worden – und zwar absichtlich.«
Während ihr Mann sprach, war Wallys Mund vor lauter Schreck aufgeklappt. Mit offenem Froschmaul erhob sie sich halb vom Sofa, dessen Kante nun unangenehm an ihre Kniekehlen drückte. Was hatte Sepp gerade gesagt? Rudolf Westhöll – absichtlich? Wally wollte nachhaken, brachte jedoch bloß ein Gurgeln zustande. Dann spürte sie, wie ihre Knie einknickten und Stück für Stück nachgaben, bis ihr Hintern letztendlich wieder auf dem Sofa landete.
Als sie saß, gelang es ihr schließlich zu fragen: »Warum hätte denn Rudolf Westhöll das Rad rammen sollen, auf dem seine Frau die Anhöhe vor der Scheuerbacher Brücke heruntergekommen ist?«
Erstaunlicherweise machte sich Sepp Maibier nicht nur die Mühe zu antworten, er ließ sich dazu sogar in einen der Polsterstühle fallen und schlug die Beine übereinander.
»Im ganzen Gäu redet man doch davon, wie auffallend gut sich die Lore mit dem jungen Pfeffer versteht, dem, der die Bestattungsinstitute beliefert. Bei Westhöll soll er inzwischen aus- und eingehen, als ob er dort Teilhaber wäre. Und wo, bitte, fährt die liebe Lore hin, wenn sie aufs Rad steigt? Nicht zum Einkaufen nach Moosbach und erst recht nicht nach Weißach in die Maria-Dolorosa-Kirche zum Beten. Nein, sie tritt wie eine Wilde in Richtung Deggendorf, quert die Stadt, hält auf Hengersberg zu und verschwindet auf halber Strecke dorthin in irgendeinem Seitenweg. Ja verflixt, warum sollte sie das denn tun, wenn sie sich nicht heimlich mit jemandem treffen will?«
»Ja, warum?«, echote Wally und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Doch plötzlich fiel ihr etwas Wichtiges ein. »Aber heute war Lore ganz bestimmt nicht bei so einem heimlichen Treffen. Sie ist ja aus der Moosbacher Richtung gekommen. Also hatte Rudolf gar keinen Grund –« Sie unterbrach sich, weil ihr Mann ostentativ die Augen verdrehte und die Hände um die Armlehnen des Sessels legte, um sich daraus hochzustemmen.
»Vergiss, was ich gesagt habe, und schau nicht wie ein
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