Mord und Mandelbaiser
einige Köpfe hoben, riss sie sich zusammen und fuhr verhalten fort: »Willst du damit sagen, Rudolf steckt als Drahtzieher hinter den Birnensaftmorden und wollte Lore mundtot machen, weil sie ihm draufgekommen ist?« Sie wurde wieder lauter. »Das ist doch Blödsinn, Humbug, Bockmist.«
Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. Sie sah Thekla hämisch an. »Darf ich dich vielleicht daran erinnern, dass es Rudolf war, der mir von den Holzer-Blasen erzählt hat?«
»Er hat dir von seltsamen Flecken erzählt, denen Stenglich keine Beachtung schenkte. Vielleicht wollte er sich damit nur absichern, falls sie noch jemandem aufgefallen wären.«
Hilde war blass geworden.
Thekla gönnte ihr keine Pause. »Es könnte freilich auch sein, dass dein Neffe nicht nur auf den Profit scharf ist. Vielleicht ist er ja ein militanter Anhänger aktiver Sterbehilfe. Wie gut kennst du ihn eigentlich?«
Hilde kippte den Rest aus ihrem Wasserglas hinunter und sagte dann bestürzt: »Rudolf schwärmt für die Legenden und Sagen der Edda.«
»Wer ist denn die Edda?«, fragte Wally sichtlich verwirrt.
»Eine Art Schöpfungsgeschichte«, antwortete Thekla. »Sie war für die alten Wikinger vermutlich das, was für uns heute die Bibel ist.«
Darauf wirkte Wally nur noch verwirrter.
»Die nordischen Göttersagen«, erklärte ihr Hilde, »kannst du getrost mit unseren Heiligenlegenden vergleichen. Aber leider haben die Geschichten von Wotan, Thor, Odin und ihren Mitstreitern einen ganz schlechten Beigeschmack bekommen, weil sie von der Propaganda des Dritten Reichs quasi als Pfeiler in ihrer Ideologie benutzt wurden.«
»Einer Ideologie«, übernahm Thekla das Wort, »die alles Sieche, Alte und Kranke auszurotten verlangt.«
Danach war es lange still.
Elisabeth trat an den Tisch und begann abzurechnen.
»Halb fünf«, konstatierte Wally.
Nachdem sich Elisabeth für das – wie immer großzügige – Trinkgeld bedankt und sich anderen Gästen zugewandt hatte, sagte Thekla: »Wenn wir Klarheit haben wollen, müssen wir jeder Spur nachgehen. Du solltest ein Auge auf Rudolf haben, Hilde.«
Hilde schaute sie eine Weile trübselig an, doch dann reckte sie kämpferisch das Kinn. »Ich werde ihn auf Herz und Nieren prüfen.«
Thekla nickte beifällig. »Wally könnte sich indessen der BB -Frage widmen.«
»Wally?«, rief Hilde geradezu erschrocken. »Wie stellst du dir das denn vor?«
Thekla wandte sich an Wally. »Hast du nicht früher bei einer Laienspielgruppe mitgemacht?«
Wally lächelte stolz. »Mein bester Auftritt war der als herzogliche Magd bei den Agnes-Bernauer-Festspielen.«
»Wie wär’s mit einem Comeback?«, fragte Thekla.
Wally schüttelte den Kopf. »Die herzogliche Magd muss von einem jungen Mädchen gespielt werden.«
»Ich meinte ein Comeback in einer ganz anderen Rolle, in der du uns Antworten aus Straubinger Apotheken verschaffen könntest«, präzisierte Thekla. Auf verständnislose Blicke sowohl von Wally als auch von Hilde hin fuhr sie fort: »Sollten wir nicht versuchen, herauszubekommen, ob in den Apotheken der Stadt regelmäßig Rezepte vorgelegt werden, auf denen ein Barbiturat verordnet ist?«
Hilde stimmte ihr zwar zu, wandte jedoch ein: »Das wäre doch wohl deine Aufgabe, Thekla. So von Kollege zu Kollege lässt sich bestimmt ganz leicht herausbekommen, was wir wissen wollen.«
»Aber alle würden sich fragen, weshalb ich mich dafür interessiere«, entgegnete Thekla. »Wäre es nicht besser, Wally würde die Frage in eine rührselige Geschichte einbauen?«
Hilde schnaubte. »Ich dachte, ihr Pillendreher seid auch an eine berufliche Schweigepflicht gebunden, oder etwa nicht?«
»Doch, das sind wir«, erwiderte Thekla. »Aber wenn Wally es geschickt anstellt, wird man versuchen, ihr zu helfen. Ich habe da so eine Idee.« Sie umriss kurz, wie sie sich Wallys Auftritt vorstellte.
Nachdem Wally etliche Male ernsthaft genickt hatte, wobei sie den Eindruck machte, sie hätte begriffen, was von ihr erwartet wurde, wollte sich Thekla erheben, doch Hilde hielt sie zurück.
»Und welche Aufgabe hast du dir selbst zugedacht?«
»Mich«, sagte Thekla darauf, »zieht es magisch zur Birnensaftquelle.« Weil Hilde sie erneut verständnislos ansah, fügte sie hinzu: »Ich will mir das Meiler’sche Grundstück anschauen, den Ort, wo die Birnbäume stehen, die den tödlichen Saft liefern.«
Hilde tippte sich an die Stirn. »Und du glaubst, die Bäume werden dir verraten, wer ihre Früchte
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