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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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sich die draußen vorbeiziehende Schönhauser Allee. Über
den stählernen Viadukt rumpelte eine alte gelbe Hochbahn. »Sobald Sie die
Wachen passiert haben, laufen Sie den rechten Gang hinunter, dritte Tür links –
die brechen Sie damit auf.« Er hielt Boelter eine Art elektrischen
Schraubenzieher hin. »Kennen Sie sich mit so was aus?«
    »Und ob!« Boelter lächelte breit. Jetzt wurde es zumindest
olsenbandenmäßig. »Kenn ick aus Filmen.«
    »Einfach ins Schloss stecken, den Knopf hier drücken«, erklärte der
Fahrgast unter dem Borsalinohut, »und dann warten, bis sich die Tür öffnen
lässt.«
    Boelter nahm den Schrauber, besah ihn sich kurz. ABUS -Sicherheitstechnik stand drauf,
obgleich man damit ja alle Sicherheit obsolet machte. Egal. »Und dann?«
    »Achten Sie auf die Beschriftungen an den Regalen. Die
Registriernummern beginnen vermutlich mit drei Buchstaben: APT bis ARO .«
Er sagte es wie »A Pe Te bis A Err Oh«, und Boelter wiederholte es leise.
    »Die Akte Arndt dürfte ziemlich umfangreich sein«, präzisierte der
Mann auf der Rückbank weiter. »Arndt mit De Te. Vorname Jan Frido oder
Fridolin. Uns interessieren lediglich die operativen Vorgänge aus 1960 und 61,
klar?«
    Uns, dachte Boelter verwundert, wieso sagt der plötzlich »uns«?
Wollte der Kerl damit andeuten, dass hinter ihm eine ganze Gruppe von Leuten
stand, oder meinte er nur sich und ihn, den guten alten Heini Boelter?
    »Haben Sie mich verstanden, Heinrich?« Wieder spürte Boelter die
schwere Hand des Fahrgastes auf der Schulter.
    »Allet paletti«, beteuerte er, »Arndt mit De Te, die Vorgänge 60,
61. Sonst noch wat?«
    »Sehen Sie zu, dass Sie mit der Akte unauffällig aus dem Gebäude
kommen«, knurrte der Fahrgast und sah wieder auf die Armbanduhr.
»Zeitvergleich: Es ist jetzt vierzehn Uhr zwölf. Ich treffe Sie exakt
einundzwanzig Uhr dreißig an der Weltzeituhr. Da kriegen Sie die restlichen
fünfzehnhundert D-Mark – und ich meine Akte. Abgemacht?«
    »Abgemacht!« Boelter reichte die Hand nach hinten, doch der Fahrgast
schlug nicht ein, sondern sagte stattdessen: »An der Ecke können Sie mich
rauslassen.«
    Heini Boelter stoppte das Taxi und wartete, bis sein seltsamer
Fahrgast ausgestiegen war. Zu gern hätte er erfahren, was an der geforderten
Akte so wichtig und warum ausgerechnet er für den Job in Frage gekommen war.
Aber aus unzähligen Agentenfilmen wusste er, dass sich für einen echten Profi
derartige Fragen verbaten.
    Neben der Mauer hatte Heini Boelter die Politik am meisten gestört
in der DDR : diese ewige Agitation,
das Gelaber vom Sieg des Sozialismus, von dialektischen Widersprüchen und
Konjunktur, Krise, Krieg – alles Quark! Er hatte damit einfach nix am Hut und
wurde dennoch dauernd genervt, von der Schule bis ins hohe Alter. Selbst als
harmloser Kutscher des VEB Taxi
Berlin war man vor der Erziehung zum ideologisch denkenden Staatsbürger nicht
sicher. Insofern geschah es den SED -Bonzen
ganz recht, wenn sie nun von ihren eigenen politisch hochgejazzten Bürgern
polemisch zur Strecke gebracht wurden.

    Eine Aktionskundgebung jagte die nächste – und Boelter verstand
nicht recht den Sinn darin. Die Mauer war längst auf, was sollte das alles
noch? Ziel erreicht, lasst doch Stasi Stasi sein, haben eh nix mehr zu melden.
Stattdessen: »Bringt Kalk und Steine mit!« Ja wollten die diese armen Lausch-und-Guck-Hirnis
in ihrem Bunker einmauern? Lächerlich fand Boelter das und albern. Aber so
waren wohl Revolutionen; immer wieder Demonstrationen mit irgendwelchen
Rednern, die kämpferisch Dinge fordern, über die vorher nie jemand nachgedacht
hatte. Dann stellte sich wer an die Spitze der Bewegung, und bevor dagegen
protestiert werden konnte, wurden die Guillotinen herausgeholt. Köpfe rollten –
und am Ende war alles wie vorher. Nur die Machthaber hatten gewechselt, das
nannte man dann Fortschritt.
    Boelter stoppte seine Taxe am Kotikow-Platz und ging den Rest zu
Fuß. Wenn es zur Eskalation kam, zu Straßenkämpfen oder so, sollte sein Wolga
nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Auf der Frankfurter Allee strömten die
Menschen zusammen, überall bildeten sich Grüppchen. Viele hatten Transparente
dabei, die »Stasi in die Produktion« forderten und mit »Lauscherlümmel – jetzt
geht’s euch an die Ohren!« drohten. Irgendwo forderte eine Megafonstimme »keine
Gewalt«.
    In der Rusche- und in der Normannenstraße skandierten sie schon
lautstark »Stasi raus! Stasi raus!«, und erste

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