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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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herbeiführen, und am Ende könne gar der komplette Verlust
der Zurechnungsfähigkeit stehen.
    Daraus ergaben
sich zwei wesentliche Fragen: Wie hatte es Vitell geschafft, sich neunzehn
Jahre lang zurückzuhalten? Und wie konnte ihm mit dieser Veranlagung eine
Karriere als Geschäftsmann gelingen, bei der doch stets ein klarer Kopf gefragt
war?
    Otto erinnerte
sich zudem an eine Statistik, nach der die meisten Straftaten von Männern im
Alter zwischen dem achtzehnten und fünfundzwanzigsten Lebensjahr begangen
wurden. Danach ließ ihre kriminelle Energie spürbar nach, und wer gar über
vierzig war, wurde kaum noch straffällig. Doch bei Karl Vitell verhielt es sich
umgekehrt. Er hatte sich in jungen Jahren zurückgehalten und wurde nun, im
fortgeschrittenen Alter, wieder gewalttätig. Warum? Was hatte seinen Trieb
wieder aktiviert?
    In diesem Moment
hielt der Landauer an.
    Otto richtete sich
auf und sah, dass ein umgestürzter Baum den Weg versperrte. Auf der Hinfahrt
hatte er noch nicht dagelegen. Der Kutscher stieß einen Fluch aus und stieg vom
Bock, um zu sehen, ob er das Hindernis würde beiseiteschieben können.
    »Irgendetwas
stimmt hier nicht«, sagte Ferdinand plötzlich und sah zu einem kleinen
Birkenhain hinter ihnen.
    »Was meinst du?«,
fragte Moses.
    Ferdinand streckte
die Hand aus. »Dahinten, neben dem bemoosten Baumstumpf, da liegt –«
    Da zerriss ein
Schuss die Stille. Vögel flatterten mit großem Gezeter auf. Ein Hase schlug
einen Haken und verschwand hinter einem Felsen. Otto hörte ein leises Sirren
wie von einem Insekt und spürte einen Lufthauch an seinem Hals. Dann schlug
etwa zehn Zentimeter neben ihm eine Kugel in die schwarze Lackierung des
Landauers ein.
    »Los, in Deckung,
alle runter«, schrie Moses und warf sich auf den Boden der Kutsche. Ferdinand
tat es ihm gleich, nur Otto reagierte nicht. Er begriff zwar, dass auf sie ein
Anschlag verübt wurde, doch wie gefährlich die Situation war, verstand er
nicht. Stattdessen wurde er furchtbar zornig. Vitell musste hinter dem Attentat
stecken. Der Kommerzienrat wollte ihn aus dem Weg räumen, damit er keine
weiteren Ermittlungen anstellen konnte. Zuerst benutzt er mich für seine Pläne,
dachte Otto grimmig, dann nimmt er mir die Frau, die ich liebe, und jetzt
trachtet er mir auch noch nach dem Leben.
    Nur – wie hatte Vitell
von seinem Besuch bei der Baronin erfahren können? Commissarius Funke hatte ihm
ganz sicher nichts verraten. Otto fiel nur eine einzige Möglichkeit ein. Riekes
Vater musste Vitell von seinem nächtlichen Besuch erzählt haben. Daraufhin
hatte Vitell vermutlich jemanden beauftragt, um ihm zu folgen und ihn an einem
einsamen Ort zu beseitigen. So einfach ist das, wenn man skrupellos ist, dachte
Otto.
    »Bist du verrückt
geworden?«, schrie Moses in diesem Augenblick. Entsetzt stellte er fest, dass
Otto immer noch kerzengerade dasaß und sich keinen Millimeter bewegt hatte.
»Komm gefälligst runter!« Mit aller Kraft zog er an Ottos Rockschößen, und als
diese rissen, packte er ihn am Kragen und zerrte ihn nach unten. Damit rettete
er ihm vermutlich das Leben, denn ein weiterer Schuss strich den Bruchteil
einer Sekunde später über Ottos Kopf hinweg und schlug nur wenige Zentimeter
neben dem ersten Treffer in das Holz des Landauers.
    Otto konnte es
noch immer nicht richtig fassen. Aus dem Hinterhalt wollte Vitell ihn wie einen
dahergelaufenen Hund abknallen lassen! Das war ungeheuerlich! Das war eine
bodenlose –
    Da bekam er eine
saftige Ohrfeige.
    »Komm endlich zur
Besinnung«, rief Moses. »Du wirst sterben, wenn wir hierbleiben. Verstehst du?«
    Otto rieb sich die
Wange.
    »Jetzt komm
endlich«, sagte nun auch Ferdinand. »Wir müssen hier weg!«
    Ferdinand und
Moses zerrten Otto aus der Kabine. Während ein Schuss die Speichen des
Landauers traf und ein zweiter dumpf in einen Ameisenhügel einschlug, robbten
sie eng an den Boden gepresst in den Schutz der Bäume. Dort standen sie auf und
hasteten im Zickzack tiefer in den Wald. Hinter einer Bodenwelle gingen sie in
Deckung und rangen um Atem.
    »Habt ihr's
gehört?«, fragte Moses. Vorsichtig hob er den Kopf. »Sie sind uns auf den Fersen.«
    Ferdinand sah
gehetzt auf. »Mein Gott, warum bin ich heute nicht im Labor geblieben? So etwas
ist nichts für mich.« Dann setzte er besorgt hinzu: »Wo ist eigentlich der
Kutscher? Hoffentlich haben sie den armen Kerl nicht erwischt.«
    »Auf den haben sie
es ja nicht abgesehen. Er wird schon längst das Weite

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