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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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gesucht haben. Und auch
wir müssen sehen, dass wir hier wegkommen«, sagte Moses. »Aber wenn wir
aufstehen und weglaufen, knallen sie uns ab wie die Karnickel. Am besten lassen
wir sie links und rechts an uns vorbeilaufen und fallen sie dann von hinten
an.« Moses schlug sein Jackett zurück und zog ein Bowiemesser hervor, das er
zum Schnitzen benutzte. »Los, seht nach, ob ihr auch was habt, was sich als
Waffe eignet. Wir wollen unsere Haut teuer verkaufen!«
    Fahrig tastete
Ferdinand seine Taschen ab, bis er einen harten, etwa zehn mal fünfzehn
Zentimeter großen Gegenstand spürte. Hastig zog er ihn heraus. Zum Vorschein
kam sein Nageletui, das ihm seine Taufpatin zur Konfirmation geschenkt hatte.
Er trug es ständig bei sich, weil er oft mit schmierigen Substanzen arbeitete,
die sich unter den Fingernägeln festsetzten. Er klappte das Etui auf und nahm
eine kleine Feile mit einem Elfenbeingriff heraus.
    »Damit willst du
gegen dieses Gesindel kämpfen?«
    »Nein«, erwiderte
Ferdinand aus tiefstem Herzen. »Von wollen kann keine Rede sein.«
    Moses presste
seine Zähne aufeinander, seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und
seine Finger umschlossen den Griff des Bowiemessers so fest, dass sich die Haut
um die Knöchel weiß färbte. »Kommt nur her, ihr Feiglinge!«, stieß er hervor.
    Sogar Ferdinand
ließ sich von seiner Entschlossenheit mitreißen. Zwar bildete sich auf seiner
Stirn Angstschweiß, doch er hatte die Feile zwischen Zeige- und Mittelfinger
geschoben und die Hand fest zur Faust geschlossen.
    »Otto«, flüsterte
Moses. »Du springst nach rechts und ich nach links. Ferdinand kommt dann
demjenigen von uns zu Hilfe, der ihn nötiger braucht. Otto?«
    Otto reagierte
nicht. Er lag da und starrte vor sich hin. Die wollen mich abknallen, dachte
er.
    Da hörten sie ein
Knistern. Es klang, als wäre ein Mann auf trockene Blätter getreten.
    »Otto«, zischte
Moses und rammte ihm den Ellenbogen in die Seite. »Es geht los!«
    Ein Mann hechtete
über den Erdwall. Es war der Kutscher. Er rutschte auf dem Hosenboden in die
Kuhle. In seiner Hand hatte er eine Flinte. Er war vollkommen außer Atem und
sog so gierig Luft in seine Lungen, dass er einen Moment brauchte, um sprechen
zu können. »Das ist ja hier gefährlicher als bei den Franzosen. Was ist
eigentlich los? Wer sind die Kerle?«
    Moses schüttelte
den Kopf. »Keine Ahnung.«
    »Jedenfalls wollen
sie euch an den Kragen. Kommt mit! Ich kenne einen Schleichpfad nach
Neuglobsow. Da seid ihr in Sicherheit.«

Im Club von Berlin
    »Otto, nun warte
doch!«, rief Moses. »Auf der ganzen Zugfahrt redest du kein Wort und starrst
nur aus dem Fenster. Und jetzt rennst du über den Trottoir, als würde es um
Leben und Tod gehen. Was hast du vor?«
    Der Abend war
mild, und die zahllosen Biergärten entlang der Friedrichstraße luden zu einer
Erfrischung ein. Auf der Straße sausten zwei junge Männer in ihrem schnittigen,
zweirädrigen Dog-Cart vorbei und sonnten sich in den bewundernden Blicken der
jungen Frauen. Eine Gruppe von Buchhaltern spazierte in den wohlverdienten
Feierabend. Sie trugen Kneifer und Ärmelschoner und hatten sich ihre Jacketts
lässig über den Arm gelegt. Pikiert traten sie zur Seite, als sich Otto an
ihnen vorbeidrängte.
    »Es wäre wirklich
besser …«, sagte Ferdinand keuchend, wich Passanten aus und verfiel in einen
seltsamen Stolperhüpfschritt, um Ottos Tempo zu halten. »Es wäre wirklich
besser, wenn du uns einweihst. So könnten wir uns gemeinsam eine Taktik
überlegen.«
    »Ich weiß genau,
was ich tue«, sagte Otto und bog in die Französische Straße ein. Wenig später
stürmte er in das Gebäude der Stettiner Germania. Vorbei am Empfang und über
dicke rote Läufer eilte er zum Treppenhaus und sprang die knarrenden Stufen
empor. Zwischen den Geschossen leuchteten bunte Mosaikglasfenster, die Berliner
Sehenswürdigkeiten darstellten: die St. Hedwigs-Kathedrale, das Rote Rathaus
und den Hamburger Bahnhof. Vor einer schweren Holztür mit Blumenschnitzereien
blieb Otto stehen und betätigte schwungvoll einen Messingklopfer.
    Fast
augenblicklich öffnete ein Dienstmädchen in einem schwarzen Kleid und mit einer
weißen Schürze. Unter der weißen Haube lugten braune Strähnen hervor. Sie
knickste und wollte gerade etwas sagen, als sich Otto an ihr vorbeidrängelte.
»Ist Kommerzienrat Vitell da?«
    »Mein Herr, Sie
können nicht einfach … Ach, Sie sind das, Herr Dr. Sanftleben. Sie haben doch
neulich hier bei uns

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