Mord Unter Segeln
wird jeden Augenblick hier sein.« Die Stimme der Kommissarin – wie war noch mal ihr Name? – wirkte entschuldigend. Aber es war okay, dass der andere, der – wie hieß so ein Typ noch mal? – noch nicht da war. So hatte er Zeit, sich ein wenig zu sammeln und an die Situation zu gewöhnen. Gewöhnen. So ein Quatsch. Er war hier, um seine Frau zu identifizieren. Seine tote Frau. Er hoffte, dass sie sich irrten. Allein wegen Sophie durfte Simone nicht tot sein. Für Sophie musste sie leben, ihr Kraft, Wärme und Zuversicht geben, zumindest jetzt, wo sie es so lange versäumt hatte. Jetzt ging es nur um Sophie.
Die Metalltür wurde aufgestoßen, und herein kam ein glatzköpfiger Jüngling, der in eine Stulle biss, während er eine Edelstahlrollliege hinter sich herzog. »Oh. Entschuldigung.« Die Stulle flog in Richtung Papierkorb, die Hand wurde am weißen Kittel abgewischt, die Liege so knapp losgelassen, dass die Tür sich gerade noch schließen konnte, ohne sie einzuquetschen. »Ich hab nicht gewusst, dass Sie schon hier sind.«
Gerjets merkte, dass die Kommissarin an seiner Seite scharf einatmete. »Dr. Krüger«, sagte sie und lächelte freundlich, doch ihre wunderbare Stimme klang reserviert, »dies ist Herr Gerjets.«
»Jaja. Schon klar.« Der Glatzkopf schien nicht ganz so pietätvoll zu sein. »Also, ich hab hier jemanden, den Sie vielleicht kennen.« Mit fast schon ausgelassen zu nennendem Schwung zog er die Liege in die Mitte des Raumes.
»Krüger!« Die Kommissarin reagierte empört, aber genau diese Flapsigkeit nahm der Situation für einen erleichternden Moment das Grausame, wie Peter Gerjets für sich feststellte. Er atmete durch. Eigentlich hieß es doch, dass man in den Räumen der Rechtsmedizin immer irgendwas brauchte, um den Verwesungsgeruch der Leichen zu übertünchen. Aber entweder hatten die hier grad nicht so viele Leichen, oder aber das war absoluter Nonsens. Klar. Die mussten die Leichen ja auch kühlen. Und das mit dem Gestank kam sicher nur bei einer Leichenöffnung vor. Und die hatten sie … nein. Nein. Er verweigerte sich dem Gedanken, dass man an Simones Körper eine solche Untersuchung vorgenommen hatte. Dennoch drängte sich die Narbe des Ypsilon-Schnittes vor sein inneres Auge, nur relativ oberflächlich zugenäht, denn Simone würde ja keine Ansprüche mehr stellen können. Nein. Reiß dich zusammen, sagte er sich. Wenn er überhaupt etwas roch, dann war es der zarte Duft eines Parfüms. Und der stammte zweifelsfrei von der wirklich erstklassigen Blondine neben ihm. Er sammelte sich. Konzentrierte sich auf das, was er jetzt machen sollte.
»Gut. Von mir aus kann es losgehen.« Inzwischen glaubte er nicht mehr an die Echtheit dessen, was ihm angekündigt worden war. Vielleicht war er ja ein Zielobjekt von »Verstehen Sie Spaß?«. Selbst wenn das die makabere Variante wäre. Nein. Nein, er konnte sich nichts anderes vorstellen, als dass unter diesem Tuch Paola Felix oder ein anderer Witzbold, der deren TV-Sendung übernommen hatte, mit einem Grinsen und einer Kamera darauf lauerte, Millionen von Fernsehzuschauern seine Reaktion zu zeigen. Da würde er sich aber beim Sender beschweren. Denn mit so etwas machte man keinen Spaß.
Der Rechtsmediziner sah ihn nun ernst und völlig humorlos an. »Okay«, sagte er, »ich werde jetzt das Tuch hochheben.«
Peter nickte und sah, wie sich das helle Leinentuch hob. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
***
»Geht es wieder?« Christine sah Peter Gerjets besorgt an. Krüger und sie hatten ihn aus dem Raum und in ein freies Büro geführt, wo Gerjets nun auf dem Fußboden lag, die Füße auf einem Stuhl hoch gelagert.
»Entschuldigung.« Gerjets wollte sich wieder aufrappeln, doch Christine sagte: »Bleiben Sie bitte noch einen Moment liegen. Das war Ihr Kreislauf, der auf den Schock reagiert hat. Es geht Ihnen sicher gleich besser.« Sie selbst saß auf der Schreibtischkante. Krüger hatte sich direkt verabschiedet, nachdem sie Gerjets hierhergebracht hatten. »Wir warten noch einen Augenblick, dann gehen wir raus und unterhalten uns ein wenig. Ich habe eine Menge Fragen.«
»Nein. Ich kann nicht liegen bleiben.« Gerjets nahm die Füße vom Stuhl und stand schwerfällig auf. »Und Zeit für Fragen habe ich auch nicht.«
»Die Zeit werden Sie sich nehmen müssen.«
»Aber nicht jetzt.« Gerjets sah Christine bittend an. »Ich muss zu meiner Tochter. Sie liegt im Reinhard-Nieter-Krankenhaus in Wilhelmshaven. Bitte. Ich muss so
Weitere Kostenlose Bücher