Mord Unter Segeln
schnell wie möglich zu ihr. Sophie hat Leukämie.«
***
Oda nahm den Hörer von der Gabel. Sie musste bei den Kollegen in Wittmund anrufen, denn Christine hatte sich aus der Rechtsmedizin gemeldet und erklärt, dass Gerjets seine Frau zweifelsfrei identifiziert hatte. Oda wählte Memengas Nummer. Sie kannte den Ersten Kriminalhauptkommissar der PI Aurich-Wittmund seit Jahren von Fortbildungen und gemeinsamen Veranstaltungen und mochte ihn. Da Langeoog in den Bereich der Kollegen fiel, benötigte sie Memengas Einwilligung, um auf der Insel aktiv werden und Zeugen befragen zu können.
»Hallo, Wolfgang, hier ist Oda. Kripo Wilhelmshaven«, fügte sie sicherheitshalber hinzu, wusste sie doch nicht, wie viele Odas er kannte und ob er sie gleich einordnen konnte.
»Hallo, Kollegin, wie komm ich denn zu der Ehre?«, erwiderte Memenga. »Ist ja schon 'ne Weile her, dass wir zuletzt miteinander telefoniert haben.« Oda hörte das Schmunzeln aus seiner Stimme.
»Okay, ich geb zu, ich hätte schon früher mal von mir hören lassen können, aber es geht nicht um die Einladung zum nächsten Polizeiboßelturnier.« Oda war die für ihre Inspektion Zuständige im Betriebssport Boßeln, dem ostfriesischen Nationalsport. Alle zwei Jahre gab es Anfang Februar ein Turnier zwischen den Polizeiinspektionen Wilhelmshaven/Friesland und Wittmund/Aurich, das immer jeweils die eine oder die andere Polizeiinspektion ausrichtete. Für Wilhelmshaven hatte sich Oda vor fast zwölf Jahren in einem Anflug weinseliger Umnachtung zur Verfügung gestellt, aber sie musste zugeben, dass es ihr immer wieder Spaß machte, ein solches Turnier zu organisieren. Inzwischen war es zu einer festen Institution geworden. Sogar Kollegen aus anderen Bezirken meldeten sich an und bildeten eigene Gruppen. Nach dem Boßeln, zu dem natürlich stets ein Bollerwagen, gefüllt mit Kaffee, Tee und Jever Pilsener, aber natürlich auch mit Korn, Saurem und Rotem, mitgezogen wurde, gab es ein Grünkohlessen, das Oda gern im nicht weit entfernten Dorf Neustadtgödens ausrichtete. Dessen Dorfkneipe bot allein aufgrund ihrer Geschichte reichlich Gesprächsstoff, war schon Mennonitenkirche und Turn-, aber auch Leichenhalle gewesen, und einer der früheren Wirte hatte sich dort erhängt. Doch all das tat dem gemütlichen Grünkohlschmaus keinen Abbruch. Zumal der jetzige Inhaber einen wirklich leckeren Grünkohl kochte. »Es ist dienstlich. Wir haben 'ne Leiche auf 'nem Segelboot«, erklärte sie. »Und als die noch lebte, tat sie das auf Langeoog.«
»Aha.« Auch Memenga hatte Sinn für trockenen Humor.
»Jo. Sie hatte da eine Pension. Wir werden also in deinem Revier nachforschen und Zeugen befragen müssen. Nieksteit hat zwar schon mit Dirks telefoniert, aber ich wollte das natürlich auch dir persönlich ankündigen. Christine Cordes und ich werden morgen rüberfahren und die Ermittlungen vor Ort machen.«
»Klar.« Memenga war kein Freund ausschweifender Worte. »Wenn ihr vor Ort Unterstützung braucht, wendet euch einfach an Dirks, der regelt das dann.«
»Danke.«
»Na, dann wünsche ich viel Erfolg. Und freue mich auf Zwischenstandsmeldungen.«
»Natürlich. Geht klar.« Zufrieden legte Oda auf. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war längst schon Feierabend.
***
Liebevoll betrachtete Peter Gerjets das Gesicht seiner Tochter. Wie zerbrechlich Sophie aussah unter der weiß-gelb gestreiften Bettwäsche des Krankenhauses. Lediglich ihr Schlafanzug, den ein peppiges »best friend«-Logo zierte, erinnerte daran, dass Sophie vor nicht allzu langer Zeit eine quirlige Fünfzehnjährige mit ziemlich losem Mundwerk gewesen war. Jetzt jedoch war der Schlafdress zweifelsfrei zwei Nummern zu groß, die vor Kurzem zwar gut genährten, aber beileibe nicht dicken Arme waren zu Ärmchen degeneriert, sein Sonnenschein war nur ein Schatten seiner selbst.
»Ich soll dich ganz lieb von der Mama grüßen«, sagte er. »Sie hat so viel zu tun, sie kann nicht weg von der Insel. Deswegen hab ich mir freigenommen. Um bei dir zu sein, mein Engel.«
Sophie lächelte ihn an. Ein zartes Lächeln, das dem Schlag von Schmetterlingsflügeln glich. Kraftlos, zerbrechlich. »Mama hat immer etwas anderes, was ihr wichtig ist.«
»Aber sie hat dich ganz doll lieb«, behauptete Peter und strich seiner Tochter über die Hand. Vor nicht allzu langer Zeit hatte hier der Zugang gesteckt, über den Sophie Medikamente bekam. Jetzt aber hatte man den »Port« oder wie auch immer sie das
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