Mord Unter Segeln
ihr Büro verwaltet hat, wird sie auch im Privatleben gehandelt haben.«
»Ach, Scheibenkleister, hör doch auf mit dem Psychologenquatsch.« Oda konnte nichts dagegen tun, dass sie heute explosiv reagierte. Sie hatte schlecht geschlafen. Wenn Jürgen und seine Tochter nicht grad durch ihre Träume wirbelten, waren sie sofort in ihren Gedanken, sobald sie aufwachte, was so alle anderthalb Stunden der Fall gewesen war. Scheiß-Nacht, Scheiß-Situation. »Nur weil du mal wieder auf so einer Fortbildung warst, heißt das nicht, dass all das, was die dir da vorgebetet haben, auch eins zu eins in der Praxis umzusetzen ist.«
»Könnt ihr mal aufhören?« Dirks hatte mittlerweile einen Blick in die vom Flur abgehenden Zimmer geworfen. »Hier ist das Büro. Das Schlafzimmer dürfte demzufolge eines der beiden hinteren Zimmer sein.«
»Prima.« Oda sah Christine an, die sich Latexhandschuhe überstreifte, obwohl die Spurensicherung schon alles aufgenommen hatte. »Dann geh ich ins Schlafzimmer, und du übernimmst das Büro?«
»Klar. Wenn dich dieser Raum nicht interessiert.«
Oda konnte Christines Blick nicht deuten, zuckte aber nur mit den Schultern und betrat das Schlafzimmer. Aufmerksam sah sie sich um. Der große Kleiderschrank war aus weißem Holz, ebenso wie die Kommode, über der ein ungerahmter Spiegel hing. Auf der Fensterbank lagen Muscheln zwischen zwei dicken Gläsern mit Kerzen, die garantiert schon ein paar Stunden gebrannt hatten. Das weiße Doppelbett hatte ein Kopfende mit hölzerner, durchgängiger Front, flankiert von in sich gedrehten, unterarmdicken Bettpfosten. An diesen Säulen mussten die Handschellen gehangen haben. Oda trat näher und begutachtete das Holz. Wie sehr hatte der- oder diejenige an den Handschellen gezogen? Gab es Spuren, oder war dieses »Spielzeug« zum ersten Mal eingesetzt worden?
Oda zog die Schubladen der Kommode auf und öffnete die Schranktüren. Aber die Handschellen waren tatsächlich das Einzige, was auf eine gewisse Vorliebe im Sexualleben der Toten hinwies.
***
Ilka Friedrichsen schloss den Reißverschluss ihres Koffers. Sie hatte den großen gepackt, vorsichtshalber. Schließlich wusste sie nicht, wie lange sie auf der Insel bleiben würde. Wichtig war jetzt vor allem Sophie. Sie würde sensibel mit ihr umgehen, sie ganz und gar auffangen. Die arme Kleine. Musste so viel durchleiden. Aber das Leben war nun mal leider kein Zuckerschlecken, wer wusste das besser als sie. Ilka hoffte, dass Sophie ihre Hilfe und Zuneigung annehmen würde. Immerhin war sie doch Sophies einzige Tante. Doch ein Gefühl der Unsicherheit blieb. Und Angst. Was wäre, wenn Sophie sie ablehnen würde? In der Werft hatte sie Bescheid gesagt, ihre Kollegen hatten vollstes Verständnis gezeigt, zumal es momentan wenig zu tun gab. Im Sommer wollten die Segler mit ihren Booten raus aufs Meer, den Wind und die Wellen genießen. Nur unvermeidliche Reparaturarbeiten ließ man jetzt machen, dementsprechend waren die Auftragsbücher um diese Jahreszeit relativ übersichtlich.
Es war lange her, dass sie Langeoog gewesen war. Das letzte Mal war noch vor Sophies Geburt gewesen. Zur Beerdigung ihrer Großmutter. Mein Gott, was war seit damals alles geschehen. Oma Gesines letzte Ruhestätte lag in der Nähe von Lale Andersens Grab. Ilka hatte damals scherzhaft gedacht, da sei ihre Oma in guter Gesellschaft, wo sie doch so gern gesungen hatte. Kurz darauf hatte Simone die Pension übernommen, und Ilkas Leben war in turbulente Bahnen geraten. Aber vielleicht – nein, bestimmt hatte alles so sein sollen. Seit einigen Jahren vertrat Ilka den Standpunkt, dass nichts im Leben zufällig geschah. Es gab Höhepunkte und Prüfungen, hinter allem steckte gewiss ein tieferer Sinn, auch wenn man den nicht immer gleich erfasste.
Der Koffer war nicht schwer, als sie ihn nun hochhob und in den Flur stellte. Immerhin war Sommer, da reichten zwei Paar Schuhe und die Sandalen, eine Jeans zum Wechseln und zwei kurze Hosen. Sie besaß sowieso nur praktisches Zeug, alles war leicht waschbar, aus Baumwollstoff. Sie hatte jede Menge T-Shirts eingepackt, zwei Fleecepullover und die unvermeidliche Regenjacke. Außerdem gab's auf der Insel ja auch Geschäfte.
Noch einmal nahm sie das Album mit den Fotos ihrer Kinderzeit in die Hand. Setzte sich auf die abgewetzte Couch, die sie nach dem Tod der Eltern oft schon hatte ersetzen wollen, was sie dann doch nicht übers Herz gebracht hatte. Das Haus war noch immer so, wie Mutti und
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