Mord Unter Segeln
die werden ausgewertet, und wenn sich herausstellt, dass nichts von dem, was wir hier gefunden haben, mit den Spuren an Bord des Segelschiffes übereinstimmt, sehen Sie uns in diesem Haus nicht wieder.«
»Okay.«
Christine merkte, wie Gerjets spürbar ruhiger wurde. Er blickte sich um und fragte: »Was mache ich denn jetzt mit den Buchungen, wenn Ihre Kollegen den PC mitgenommen haben? Um diese Jahreszeit ist die Pension fast immer ausgebucht. Ich muss den Leuten absagen.«
»Ja.« Christine sprach das Wort überaus gedehnt, während sie kurz nachdachte. »Das kriegen wir schon hin. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich rufe meine Kollegen an, die sollen den Buchungsplan und die dazu passenden Personendaten rausfiltern und hier an die Polizeistation schicken. Wir drucken das dann aus, und Sie können die entsprechenden Pensionsgäste anrufen.«
»Und wenn es keine Telefonnummer gibt? Nur 'ne Mail-Adresse? Wie setz ich mich dann mit denen in Verbindung, wo Sie mir den PC weggenommen haben? Wie kann ich mit Sophies Arzt im Krankenhaus in Verbindung bleiben, wenn das nicht wie geplant per Mail geht?« Gerjets sah Christine mit einer gewissen Verzweiflung an. »Verstehen Sie nicht? Es geht nicht nur um Simone. Es geht auch um Sophie. Meine Tochter lebt. Noch. Und ich muss alles dafür tun, dass sie weiterlebt.«
Christine atmete tief ein. Natürlich hatte Peter Gerjets recht. Seine Frau würde, egal, was sie ermittelten, nicht wieder lebendig, aber seine Tochter hatte noch jede Chance auf ein Überleben. »Warten Sie.« Sie griff zum Telefon, sah jedoch, wie es in Gerjets' Gesicht arbeitete. Seine Zähne mahlten, sein Brustkorb hob und senkte sich schwer. Augenblicklich entstand die Gewissheit in Christine, dass Gerjets sich unter anderen Umständen nicht so zusammengerissen hätte, dass er explodiert wäre. Und spontan drängte sich ihr die Frage auf: Was für ein Mensch war Peter Gerjets?
***
Horst Schöneberg saß auf dem Balkon des Hotels »Kröger«. In Anbetracht der grausigen Umstände und weil er und Edeltraud diejenigen waren, die Simone als vermisst gemeldet hatten – das hatte Edeltraud dem jungen Mann an der Rezeption gestern gleich beim Einchecken gesagt –, und weil es natürlich wichtig war, dass sie der Polizei heute noch für Gespräche zur Verfügung standen, hatten sie einen Tag an ihren Aufenthalt auf der Insel drangehängt und vom Geschäftsführer die Erlaubnis erhalten, das Zimmer noch bis zur Abfahrt der Inselbahn zu nutzen.
Auf seinen Knien lag »Ostfriesenangst« von Klaus-Peter Wolf. Er hatte bereits die anderen Bücher dieser Reihe gelesen. Mit Freude, aber auch mit genüsslichem Bedauern hatte er den neuen Band angefangen, denn er wusste, es würde dann wieder bis zum nächsten Frühjahr dauern, bis er erfuhr, wie es Ann Kathrin Klaasen und ihrem Freund Weller weiter erging. Doch heute konnte er sich nicht auf das Buch konzentrieren. Simones Tod beschäftigte ihn. Immer wieder drängten Erinnerungen in ihm hoch, zu gern wäre er noch einmal allein in ihrer Wohnung gewesen. Aber das war natürlich nicht möglich, dort hielten sich bestimmt die Polizei und Simones Ehemann auf. Er hatte ihn heute erst kennengelernt. War schon irgendwie ein Wahnsinn. So oft war er hier gewesen und war ihm nie begegnet. Simone war irgendwie immer nur Simone gewesen. Verheiratet, das schon, dann aber doch wieder nicht. Nie hatte er sich Gedanken darüber gemacht, was für ein Mann Peter Gerjets war, und bis auf das Konfirmationsfoto gab es keins, auf dem er abgebildet war. Das war ihm gestern zum ersten Mal aufgefallen, als er mit dem Geheimversteckschlüssel die Wohnung geöffnet, als er zögernd und, ja verdammt, auch ängstlich, aber das brauchte keiner zu wissen, die Räume inspiziert hatte. An den sonst ziemlich zugehängten Wänden war Simone in allen Lebenslagen abgebildet, auch Sophie, vom Säugling bis jetzt. Ein großes Foto, das Sophie auf einem Segelboot in voller Aktion zeigte, war der Hingucker des Flures, aber es gab nur ein Foto, auf dem auch Peter Gerjets zu sehen war.
Ohne Zwang würde Horst natürlich nie zugeben, dass er neugierig gewesen war, aber er hatte vor seinem Anruf bei der Polizei einen Blick auf Simones Schreibtisch und in die Schreibtischschubladen geworfen. Dann hatte er den PC hochgefahren. Simone war so offen gewesen, so sprudelnd, so verdammt umwerfend. Sie hatte ihn umgehauen, ihn mit ihrer Lebendigkeit kurzzeitig aus der Bahn geworfen – und den Kontakt auch
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