Mord Unter Segeln
sie gar nicht gern. Damit muss ich erst einmal klarkommen.«
Ilka hörte ein Schniefen, dann ein Räuspern. Und noch eine Pause. Als Peter wieder zu sprechen begann, klang seine Stimme belegt. »Irgendwie ist mir heute klar geworden, dass ich eigentlich verdammt wenig über Simone weiß.«
»Du bist ja auch viel weg«, versuchte Ilka abzuwiegeln.
»Sicher, aber das erklärt nicht alles. Mensch, es gibt doch Möglichkeiten ohne Ende, in ständiger Verbindung zu bleiben. Wir hätten skypen und uns am PC sehen können, wir haben Handys und das normale Telefon, wir hätten uns mailen können und SMS schreiben, so wie Millionen von Menschen das jeden Tag tun. Und ich war doch zwischendurch immer auf Langeoog. Ich war ja keine Monate am Stück weg.« Peter atmete schwer. »Die meisten meiner Kollegen telefonieren mehrmals am Tag mit ihren Frauen, auf die Idee bin ich überhaupt nicht gekommen. Ilka, ich war fünfzehn Jahre verheiratet und weiß kaum etwas über meine Frau. Aber sie hat nicht gern gesegelt, das stimmt doch, oder?«
»Keine Ahnung, wie das zum Schluss war.« Ilka zuckte mit den Schultern. »Als Kind war es ihr jedenfalls zu langweilig. Es sei Zeitverschwendung, hat sie immer gesagt und sich aus den Familientouren ausklinken wollen. Oft ist sie bei Tante Mona geblieben oder bei euch, Peter, daran müsstest du dich doch erinnern. Nur manchmal ist sie mit. Dann waren es aber meist auch nur kurze Törns von zwei, maximal drei Stunden.«
»Tja.« Peter machte erneut eine Pause. Ilka ließ ihm Zeit, denn sein Atem, der leise durch die Leitung drang, beruhigte sie. »Und jetzt war eine Fahrt auf einem Segelboot das Letzte, was sie tat. Ich glaube, sie wäre viel lieber mit einem Flugzeug abgestürzt, als auf einem langweiligen Segelausflug zu sterben.«
»Peter, bitte.«
»Entschuldige, Ilka. Sie war ja trotz allem deine Schwester.«
Ilka schluckte herunter, was ihr in diesem Augenblick auf der Zunge lag. »Ja. Trotz allem war sie meine Schwester.« Sie schwieg, und auch Peter sagte kein Wort. Ilka räusperte sich und wagte endlich, den Grund ihres Anrufes auszusprechen: »Ich hab hier grad ein wenig Luft. Also, nichts, was terminlich drückt, meine ich. Da wollt ich fragen, was du davon hältst, wenn ich nach Langeoog komme und dir mit der Pension und mit Sophie übergangsweise helfe.«
***
Heiko Lemke war voll in seinem Element. Als er die Halle betreten hatte, war er zunächst komisch angeguckt und angesprochen worden, doch sein Dienstausweis hatte das Öffnen jenes Tores veranlasst, hinter dem die ominöse Jacht lag. Verlassen, verletzt, wenn man es denn so sehen wollte. Lemke wollte es so sehen. Da hatte irgendeiner brutal und rücksichtslos mit einem spitzen Gegenstand an der Außenhaut des Schiffes herumgefuhrwerkt. Kratzer hinterlassen und dem Boot, das sicher einige Jahre unter dem nun entfernten Namen in zahlreichen Häfen gelegen hatte, das von anderen Seglern gesehen worden war, die sich darüber gefreut hatten, dass die »Namenlos« wieder einmal da war, die Identität genommen. Lemke wusste, wie es sich anfühlte, wenn man nicht mehr wusste, wer oder was man war, vielleicht verspürte er deshalb einen solchen Drang, dem geheimnisvollen Schiff auf die Spur, sprich auf den Namen zu kommen. Dankenswerterweise hatten ihn die Mitarbeiter der Werft in Ruhe gelassen. Er würde sich melden, wenn er Hilfe brauchte, hatte er gesagt und war fast ein wenig demütig gewesen, als man ihn allein mit der aufgebockten Jacht in der Halle zurückließ. Die erste Fotosession hatte dem Rumpf außen gegolten. Aus allen möglichen Perspektiven hatte er ihn geknipst. Dann war er über die Holzleiter an Deck geklettert, das ihm umso höher erschien, weil das Schiff eben nicht im Wasser lag, sondern auf Gestellen künstlich in Waage gehalten wurde. Nachdem er jedes Detail dort abgelichtet hatte, war er ins Innere hinabgestiegen und sich dabei vorgekommen wie Jonas, der in den Bauch des Wals gelangt.
Wieder knipste er auf Teufel komm raus. Spätestens wenn er die Bilder auf den PC überspielt und genau studiert hatte, würde ihm etwas auffallen. Es musste etwas geben. Ein solches Schiff war nicht unpersönlich wie eine Ferienwohnung, einem solchen Schiff hatte jemand seinen Stempel, seine Möbel und sein Leben aufgedrückt.
Also hatte die Wanddeko sicher etwas zu bedeuten, auch wenn es keine Familienfotos gab, sondern Inselbilder. Lemke kannte die Ostfriesischen Inseln zu wenig, um bestimmen zu können, auf
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