Mord Unter Segeln
Vati es hinterlassen hatten, das Zuhause der Kindheit. Es wäre Ilka wie ein Verrat vorgekommen, die Möbel auszutauschen. Außerdem waren sie aus Echtholz und kein furnierter Kram, auch wenn Ilka nicht wirklich auf Eiche rustikal stand. Zumindest hatte sie das braune Leder der Couch mit bunten Kissen aufgepeppt. Und das alte Geschirr durch buntes, neues ersetzt. Allerdings ruhte das alte ordentlich verpackt im Keller.
Ilka schlug die Seiten um. Die ersten Bilder waren noch schwarz-weiß, der weiße Rand gezackt. Teuer war es damals gewesen, Aufnahmen entwickeln zu lassen, ganz anders als jetzt, im digitalen Zeitalter, wo Fotoalben höchstens elektronisch, aber kaum noch von Hand zusammengestellt wurden. So schön die moderne Technik war, sie ließ in manchen Bereichen auch große Unpersönlichkeit zu. Ilka lächelte. Ein Foto zeigte Simone und sie, wie sie gemeinsam einen Puppenwagen schoben. Sie, die Große, die den Arm beschützend um die Kleinere legte. Ilka atmete schwer. Wieder und wieder blätterte sie um und betrachtete all die Bilder, die sie und ihre Schwester in inniger Zweisamkeit zeigten. Auf einmal war ihr klar: Sie musste dieses Album mitnehmen. Sie musste die Fotos gemeinsam mit Sophie ansehen, musste ihrer Nichte zeigen, wie verbunden ihre Mutter und sie gewesen waren.
***
»Na, bei euch ist ja heut die Hölle los.«
Peter Gerjets war kaum in Sichtweite der Pension »Sanddorn«, da rief Alwine Carstens schon vom schräg gegenüberliegenden Haus. Alwine war gehbehindert; seit Peter denken konnte, hockte sie in den Sommermonaten auf ein dickes Kissen gestützt im geöffneten Fenster ihres Wohnzimmers, rauchte, was das Zeug hielt, beobachtete das Treiben auf der Straße und kommentierte es.
»Da waren 'ne Menge Typen da. Erst welche, die sich weiße Schutzanzüge angezogen haben, bevor sie reingegangen sind. Hat Simone verdorbene Lebensmittel an die Pensionsgäste verteilt? Habt ihr etwa EHEC bei euch? Ich hab ihr ja immer wieder gesagt, sie soll doch Tomaten und Gurken selbst anpflanzen, dann ist sie nicht vom Supermarkt abhängig, aber nein, deine werte Gattin ist sich ja für vieles zu fein. Da müsste sie sich die Finger schmutzig machen, und das will sie auf gar keinen Fall.« Alwine seufzte vernehmlich.
»Alwine …«
»Na, jetzt sieht sie, was sie davon hat. Und wir Langeooger auch. Bisher war unsere Insel EHEC-frei, und nun? Nee, nee, dass jetzt die vom Gesundheitsamt hier auftauchen und auch noch so auffällig angezogen sind mit ihren weißen Raumfahrtanzügen, das macht keinen guten Eindruck. Simone kann froh sein, dass sie die Stammgäste hat, die kommen ja vielleicht auch trotz EHEC. Wegen der guten Betreuung.« Das letzte Wort sprach Alwine gedehnt. »Aber für die Insel ist das schädlich. EHEC. Tss.«
»Kannst du vielleicht mal dein vorlautes Mundwerk halten?«, brach es aus Peter hervor. »Die sind nicht vom Gesundheitsamt. Die sind von der Polizei. Simone wurde ermordet.«
»Ermordet?« Alwine fiel die Kinnlade runter und gab den Blick auf tabakbraune Zähne frei.
»Ja. Auf einem Segelschiff.«
»Aber … Simone segelt doch gar nicht«, war Alwines hilflose Antwort.
»Siehste. Und genau deshalb solltest du jetzt mal überlegen, was du so von dir gibst.« Peter Gerjets richtete sich gerade auf. »Sind die denn noch drinnen?«
»Nee. Die sind schon wieder weg. Haben aber den PC mitgenommen. Und noch so 'n paar andere Sachen, hab aber nicht gesehen, was genau. Die hatten sie in so einer Klappbox, weißte?«
»Also ist keiner da.« Peter setzte sich in Bewegung.
»Halt! Sind doch welche da. Dirks kam später mit zwei Frauen. Die sind noch drin.« Alwine blickte ihn neugierig an. »Soll ich mit rüberkommen?«
»Quatsch. Dirks hat sicher die Kommissarinnen vom Festland dabei. Bleib du man da, wo du jetzt bist. Ich krieg das auch allein hin.«
***
Christine sah aus dem Fenster. Auf der anderen Straßenseite stand Peter Gerjets und führte ein recht intensives Gespräch mit der Nachbarin, er gestikulierte wild mit den Händen. Die Nachbarin war ihr bereits aufgefallen, als Oda und sie mit Dirks hier angekommen waren, auch da hatte sie schon auf ihrem Beobachtungsposten im Fenster gehockt und geraucht. Christine nahm sich vor, sie später in einen kleinen Plausch zu verwickeln, denn diese Art von Nachbarin wusste fast alles. Vielleicht war sie ja auch ihr gegenüber gesprächig. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihren Notizen zu, die sie eben am Schreibtisch der
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