Mord Unter Segeln
lässt. Aber ich hab sie dann doch nicht danach gefragt.«
Christine hob die Augenbrauen, sagte jedoch nichts. Wiebke, der es in diesem Moment offensichtlich ein wenig peinlich war, so offen zu sprechen, versuchte sich zu rechtfertigen: »Immerhin hieß es bei der Scheidung von Toni und Anke, dass Simone der Grund sei. Glaub ich aber nicht, denn dann wäre Toni ja mit Simone zusammen. Und egal, ob Peter das nun weiß oder nicht: Wir hier wüssten das. Aber Toni wohnt ja immer noch hier, und ich jedenfalls hab die beiden nie zusammen gesehen. Aber«, Wiebke blickte Christine direkt in die Augen, »seit Tills Tod ist mein Interesse an so 'nem Klatsch verdammt geschrumpft. Ich hab im letzten Jahr am eigenen Leib erfahren, was alles geredet wird. Und an so was möchte ich mich nicht beteiligen.«
Christine schürzte die Lippen. »Es geht ja auch gar nicht um Tratsch, Wiebke, es geht darum, so viel wie möglich über Simone Gerjets zu erfahren. Denn je mehr wir über sie wissen, desto eher haben wir einen Ansatz, denjenigen zu finden, der für ihren Tod verantwortlich ist.«
»Du meinst den Mörder.«
»Nenn es, wie du willst. Wenn es tatsächlich das Gerücht gibt, dass Simone Gerjets kein Kind von Traurigkeit war, werden wir dem mal nachgehen. Ich finde es aber prima, dass du sie in Schutz nimmst. Mal sehen, was wir so erfahren.«
»Na ja. Die Winter sind lang und einsam auf Langeoog. Da werden die Bürgersteige hochgeklappt, und nix geht mehr. Wer kann, fliegt in die Sonne und erholt sich von der Saison, aber einige bleiben auch hier. Ist ja auch schön, dieses Wieder-untereinander-Sein. Und Spaß haben wir auch in unserer Heimatvereingruppe. Beim Tanzen und Musizieren, teilweise schmeißen wir uns weg vor Lachen. Wir sind eben ein eigenes Volk.«
»Und Simone Gerjets mittendrin?«
Wiebke verdrehte belustigt die Augen. »Ich sag doch, sie war sehr temperamentvoll. So ein bisschen der Paradiesvogel unter uns Möwen. Sie war sehr extrovertiert. Ihre Art, das Leben zu leben, war schon etwas anders. Simone handelte gern spontan, ohne groß darüber nachzudenken. Und dass sie Sophie schon so früh aufs Festland ins Internat geschickt hat, traf hier nicht bei jedermann auf Verständnis. Weißt du, da kamen die ersten Tuscheleien auf. Dass Simone die Bahn frei haben wollte für ihre Techtelmechtel, ohne dabei von der Tochter gestört zu werden.«
»Na …« Christine war skeptisch, obwohl sie natürlich wusste, dass die Menschen so waren. Warum sollten ausgerechnet die Langeooger anders denken als der Rest der Bevölkerung.
»Jo.« Wiebke wuselte sich mit der rechten Hand durch ihren blonden Schopf. »Sag mal, bleibst du über Nacht auf der Insel? Ich kann dir das Gästezimmer herrichten. Ist überhaupt kein Problem. Wär doch mal wieder schön, so ein Klönabend zu zweit.«
»Danke. Ist lieb, aber ich fahr mit meiner Kollegin wieder rüber.«
»Die kleine Dunkelhaarige?«
»Ja, Oda.«
»Die könnte auch hier übernachten. Vielleicht räumt Dirks aber auch was für sie frei. Obwohl, Platz haben die an der Kaapdüne grad nicht, wo für die Saison zwei Mann Verstärkung gekommen sind, aber, wie gesagt, ihr könnt gern hier bei mir bleiben.«
»Ist lieb von dir, danke. Aber ich glaub, wir müssen heute wieder rüber. Ich meld mich, wenn ich mal bleiben kann, wir sind sicher noch ein paar Tage auf der Insel.«
***
Das dumpfe Tuten der Fähre bei der Einfahrt in den Langeooger Hafen dröhnte in Ilkas Ohren. Sie stand oben an Deck, auf die weiße Metallreling gestützt. Die orangefarbenen Plastikbänke hinter ihr waren mit Menschen besetzt, die sich auf ihren Urlaub freuten. Paare, Alleinreisende. Zwei Kinder tobten übermütig herum, bis sie von ihrer Mutter zurückgepfiffen wurden; ein großer Hund, der aussah wie ein lebendes Fellknäuel, lag ruhig und entspannt unter einer Bank. Seine Besitzer – der junge Mann trug die Haare zu Dreadlocks verfilzt – sahen ebenfalls aus, als ob sie nichts aus der Ruhe bringen konnte. Die »Langeoog III« legte an, und Ilka holte tief Luft. Das letzte Mal war sie nicht mit dem Schiff auf die Insel gekommen. Zur Beerdigung ihrer Oma waren Simone und sie hinübergeflogen. Weil das für Simone damals eben so Usus war. Schließlich war es ihr Job zu fliegen. Auch wenn sie nie selbst im Cockpit gesessen hatte. Fliegen sei das Reisemittel der Neuzeit, alles andere sei veraltet und würde Zeit rauben. Lebenszeit, hatte Simone behauptet, wenn Ilka darauf hingewiesen hatte, dass
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