Mord Unter Segeln
gleich gesagt: Lass die Finger davon. Aber nein, Gesine wollte nicht hören. Und dann hatte sie so viel Gerenne mit den Gästen. Im Vorfeld Zimmer und Betten machen, jeden Tag das Frühstück richten, ab sieben Uhr musste das fertig sein, die ist gar nicht mehr zur Ruhe gekommen. Und dann haben die Leute sich ja zum Teil über die unmöglichsten Sachen beschwert. Über das Wetter. Über den Wind. Es gab sogar welche, die sich darüber aufregten, dass das Wasser nicht ständig da ist!« Alwine schüttelte den Kopf. »Man glaubt es nicht. Jedenfalls hab ich Gesine immer gesagt, sie soll es doch lassen, das mit der Pension. Sie kriegt doch von Heino die Rente. Die war aber wohl ziemlich mickrig, da konnte sie keinen Staat von machen, hat sie mal erzählt. Und dass sie es gern hat, wenn so viele Leute um sie rum sind. Na. Wer's glaubt.«
»Und dann kam ihre Enkelin. Simone Gerjets.«
»Nee, die hieß da ja noch gar nicht so. Als Simone hier auftauchte, war sie noch nicht mit Peter verheiratet. Aber das war natürlich auch so ein Ding. Darüber waren wir alle hier ziemlich überrascht. Denn jahrelang hat sich die Deern nur mal zur Stippvisite blicken lassen, die übrige Zeit hat sie ihrer Oma immer bloß Postkarten aus aller Herren Länder geschickt. Allerdings, und das muss man ihr zugutehalten, zu den Feiern, also zu Gesines Siebzigstem oder zum Fünfundsiebzigsten, da ist sie aufgetaucht. Hat aber auch immer gleich ein großes Bohei drum gemacht. Zeigte als Frau von Welt allen Insulanern, wie zurückgeblieben die Frauen hier waren. Ich kann Ihnen sagen, Freunde hat sie sich damit nicht gemacht. Zumindest nicht unter den Frauen.«
»Und wie haben die Männer reagiert?«
»Männer!«
Christine erschrak fast ein wenig über die Heftigkeit, die in diesem Ausruf lag.
»Brunftig waren die. Allesamt. Der Geifer lief ihnen aus dem Mund, wenn sie Simone in den knappen Klamotten und irgendwelchen Wunder-BHs, die ihre Brüste sonst wohin hoben, anstarrten. Ich hab Gesine gesagt, sie soll Simone doch mal ins Gewissen reden, unsere Männer kennen eben keine Pariser Models oder Römerinnen, unsere Männer sind bodenständige Insulanerinnen gewohnt, die für ihr täglich Brot hart arbeiten. Aber Gesine hat Simone immer verteidigt. Simone sei nun mal ein Paradiesvogel, meinte sie, das müssten auch die Langeooger akzeptieren.«
»Was sie auch taten.«
Alwine Carstens kräuselte die Nase, griff sich mit der linken Hand an den verlängerten Rücken, der von ihrer Kittelschürze bedeckt wurde, und kratzte sich.
»Ach, was soll's«, sagte sie dann nach einem Moment des Zögerns. »Ja. Die Langeooger«, sie betonte die letzte Silbe, »die erfreuten sich an Simones Kurzbesuchen. Die Langeooger innen weniger. Die Lager spalteten sich allerdings noch mehr, als Simone wenige Monate nach Gesines fünfundsiebzigstem Geburtstag mit einem Köfferchen in der Hand und einem Kind im Bauch auftauchte und verkündete, sie wolle ihr Baby auf Langeoog zur Welt bringen und bis auf Weiteres auf der Insel bleiben.«
»Letztendlich blieb sie für immer«, stellte Christine fest, was Alwine Carstens mit einem eigenartigen Seitenblick quittierte.
»Ich hab Gesine gesagt, sie soll vorsichtig sein. Ich hab gesagt, die Simone führt etwas im Schilde, die will was, einfach so kommt die nicht her. Aber Gesine hat sich so gefreut, sie hat mir gar nicht zugehört. Na ja. Drei Monate später war Gesine tot. Ein Herzinfarkt. Ich sag da nix dazu, aber geglaubt hab ich das nicht. Vor allem, weil Simone nahtlos die Pension übernommen hat. War ja praktisch. Oma tot, Einnahmequelle da. Prima für so eine alleinstehende Mutter. Aber ich hab meinen Mund gehalten.«
»Simone war zu dem Zeitpunkt noch nicht verheiratet?«
»Nein. Hab ich doch vorhin schon gesagt. Die kam schwanger hier an. Da war von Peter noch nix zu sehen. Aber ich muss zugeben, dass Gesine mal gesagt hat, dass Simone 'nen Freund hatte. Und dass da wohl alles nicht so einfach war. Ich hätt gern mehr darüber gewusst, aber eigenartigerweise war Gesine bei dem Thema sehr verschlossen und sagte nichts weiter.«
»Wissen Sie, ob Simone zu der Zeit schon engere Kontakte zu einigen Insulanern hatte?«
»Wenn Sie auf Toni Surwold anspielen: Der ist bei Gesines Fünfundsiebzigstem auch dabei gewesen. Die beiden haben sich so prächtig amüsiert, dass die Anke, dem Toni seine Frau, auf der Tanzfläche eine Szene hingelegt hat, an die sich das ganze Dorf noch in hundert Jahren erinnern
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