Mord Unter Segeln
Spülmaschine zu stehen und die ausräumen zu müssen.
Nun denn. Lemke ließ den Becher Becher sein, schmiss seinen PC an und stiefelte in die kleine Küche hinüber, wo er den alten Kaffeefilter in den Müll schmiss, die Maschine mit neuem Wasser und Kaffeemehl bestückte und in Gang setzte. Während das Gerät zu arbeiten begann, setzte er sich an einen der Tische, schlug den »Kurier« auf und blätterte ihn durch. Dem Artikel über die Finanzkrise in den USA würde er sich in der Frühstückspause intensiv widmen, jetzt blätterte er wie jeden Morgen die Zeitung nur beiläufig durch. Ein Bild auf der Seite »Neues aus dem Umland« ließ ihn aufmerksam werden. In dem dazugehörigen Artikel ging es um Segelschiffe, die lange, teilweise monate-, ja jahrelang in den Häfen lagen, ohne dass die Eigner die Liegegebühren zahlten. Es ging darum, dass die Hafenverwaltung nach einer Anzahl von erfolglosen Mahnungen das Schiff aus dem Wasser befördern und zwangsversteigern lassen konnte.
Mit einem Mal war Lemke klar, wo er nach Informationen über das geheimnisvolle Schiff suchen musste.
***
Obwohl es noch früh war, neun Uhr fünfzehn, war Alwine Carstens nicht damit beschäftigt, hinter irgendwelchen Pensionsgästen den Frühstückstisch abzuräumen, Betten zu machen oder die Zimmer zu putzen: Sie lehnte, wie auch schon gestern und vorgestern und vermutlich immer, auf Kissen gestützt in dem Fenster mit der altertümlichen Spitzengardine und blickte auf die Straße. Christine hätte vermutet, dass die Alte ebenso wie viele andere Frauen jenseits der Rentenaltersgrenze – sowohl in den ostfriesischen Küstenorten als auch in den österreichischen Bergen – die Hochsaison nutzte, um noch den einen oder anderen Euro mit der Bewirtung oder Beherbergung von Touristen zu verdienen. Bei Alwine Carstens schien das nicht der Fall zu sein.
Christine blieb für einen Moment an der Straßenecke stehen und betrachtete die ältere Frau, die mit einer Mischung aus Langeweile und Neugier jeden Insulaner mit Namen begrüßte. Automatisch wurde sie zurückgegrüßt. Beiläufig, als gehöre diese Art der Ansprache seit Ewigkeiten zum Alltag. Eigenartig, wie sehr man sich an Dinge gewöhnen konnte; Christine war sicher, dass viele derjenigen, die heute »Moin, Alwine« riefen, schon morgen nicht mehr sagen könnten, ob Alwine am Tag zuvor dort gesessen hatte. Interessant wäre es zu erfahren, wie viele von ihnen stutzig würden, wenn sie Alwine Carstens mal nicht am Fenster sahen.
Langsam schlenderte Christine näher, betrat die gepflegte, kurz geschorene Rasenfläche und ging auf Frau Carstens zu.
»Sagen Sie mal«, fing die an, laut zu werden. »Sehen Sie nicht, dass das ein Privatgrundstück ist?« Bevor Christine ihren Ausweis aus der Tasche ziehen konnte, kniff Alwine Carstens die Augen zusammen. »Ach Sie sind das. Polizei, oder? Sie waren doch gestern schon mal hier?«
»Vorgestern.«
»Aber gestern waren Sie auch hier.« Die Alte bekam wirklich eine Menge mit.
»Stimmt. Und heute möchte ich mich mit Ihnen unterhalten. Aber nicht hier vorm Fenster.«
»Bevor ich Ihnen die Tür aufmache, will ich erst noch mal Ihren Ausweis sehen. Kann ja jeder kommen und behaupten, von der Polizei zu sein.«
Es amüsierte Christine, dass die Carstens auf vorsichtig machte, allerdings stimmte es ja: An ihrem Fenster war sie sicher, so einfach würde niemand an ihr vorbei ins Haus einsteigen.
Keine drei Minuten später saß Christine Alwine Carstens in einer Küche gegenüber, deren Mobiliar sicherlich noch aus den siebziger Jahren stammte. Die halbhohen Küchenschränke mit Griffleisten aus Metall waren aus orangegelbem Kunststoff, der Herd hatte vier altertümliche Kochplatten; Ceran oder Induktion schienen gänzlich unbekannt. Auf dem Tisch lag eine abwaschbare Tischdecke mit Blütenmuster. Christine unterdrückte ein Lächeln, als sie auf der Küchenfensterbank einen braunen Wackeldackel neben einem kleinen Schornsteinfeger und drei Orchideen stehen sah. Irgendwie passte alles ins Bild. Anzeichen dafür, dass Alwine Carstens Pensionsgäste aufnahm, gab es jedoch nicht.
»Sie vermieten nicht?«, fragte Christine.
»Nein. Ich mag keine Fremden im Haus haben. Fremde bringen den Rhythmus durcheinander. Das ist nicht gut. Davon wird man krank.«
»Aha.« Christine staunte. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Hab ich bei Gesine gesehen. Nachdem Heino tot war, hat sie ihr Haus umgerüstet. Hat die Pension draus gemacht. Ich hab ihr
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