Mord Unter Segeln
das ausgetretene Treppenhaus hinunter. Als sie das Gebäude verließen, schlug ihnen die schwüle Sommerluft wie ein heißes Handtuch entgegen. Gewitter lag in der Luft, obwohl kein Wölkchen am Himmel zu sehen war, aber unzählige kleine Gewitterfliegen kreisten um sie herum. Sie eilten auf den Dienstwagen zu, der in Reichweite des Funkschlüssels stand und mit einem leichten »Piep« und dem obligatorischen Aufblinken der Lichter zu erkennen gab, dass er die Aufforderung, in den Aktiv-Modus zu gehen, vernommen hatte.
»Na, denn man to.« Oda hielt Lemke die geöffnete Hand hin, damit er ihr den Autoschlüssel gab. Obwohl sie selbst keinen Pkw besaß, fuhr Oda leidenschaftlich gern, was sie allerdings nie offen zugab. Sie argwöhnte jedoch, dass diese Tatsache in der Polizeiinspektion kein wirkliches Geheimnis mehr war.
»Braucht ihr morgen eigentlich Hilfe beim Umzug?« Sie hatten die Durchfahrt des alten Deiches in Höhe des Jade-Weser-Ports durchquert, als Lemke die Frage stellte. »Also, wenn ihr wollt, ich bin dabei.« Er sah sie an, aber Oda konzentrierte sich aufs Fahren. Gerne hätte sie jetzt angehalten und sich mit einem Blick über den Deich von all dem privaten und beruflichen Kram abgelenkt, der sie von allen Seiten drückte. Hätte gern einen Blick auf das aufgespülte Gelände geworfen, das mit modernster Technik dem Meer abgerungen worden war. Es gab dort sogar schon Straßen und Gebäude, in Kürze würde hier im größten Tiefwasserhafen Deutschlands jene neue Generation von Supercontainerschiffen abgefertigt werden, für die Bremerhaven nicht tief genug war. Die Region erhoffte sich die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch den Hafen, obgleich natürlich ein Großteil der zu bewältigenden Arbeiten computergesteuert war. Dennoch: Es gab Zulieferbetriebe und eine Menge mehr, was drum herum anfiel. Oda nahm sich vor, eine Führung über das Gelände mitzumachen, wenn sie erst diesen Fall und den privaten Schlamassel hinter sich hatte.
»Das ist wirklich nett von dir«, sagte sie. »Aber es wird sicher nicht nötig sein. Wir teilen das auf.«
»Aufteilen?«
»Na ja. Zeitlich. Ich kann jetzt nicht mitten im Fall unterbrechen und umziehen. Also wird erst einmal Jürgen in die neue Wohnung umziehen. Ich bleib mit Alex noch in der alten.« Oda blickte starr geradeaus und konzentrierte sich auf den Verkehr, der eigentlich gar keiner war. Nach außen hin kam Oda der Mordfall sehr gelegen, denn so konnte sie die Arbeit vorschieben und musste den Kollegen nichts erklären.
»Es geht mich natürlich nichts an«, sagte Lemke, »aber das nehme ich dir nicht ab. Du warst so begeistert vom Umzug, da muss doch was vorgefallen sein. Du kannst mit mir darüber reden, wenn du willst.«
»Danke. Ich meld mich, wenn ich's möchte.«
»Okay. Halt. Hier runter.«
Sie hatten die Schleusenbrücke am Hooksieler Außenhafen überquert. Oda bog links ab. Der Parkplatz bestand aus einer Art Schotterbelag, sie fuhr langsam und parkte den Wagen neben einem dunkelgrünen Golf. Als sie ausstiegen, war die Luft zwar immer noch drückend, aber der hier vorhandene leichte Wind machte die Hitze – die Außenthermometeranzeige des Wagens hatte achtundzwanzig Grad angezeigt – erträglicher.
Oda blickte sich um. »Meinst du, wir sind hier richtig?« Das Gebäude sah eher nach einer kleinen Werft denn nach einem Segelclub aus, außerdem beherbergte es ein Restaurant.
»Doch, ist schon richtig hier. Der Hafenmeister ist nicht hauptamtlich Hafenmeister, sondern macht das nebenbei. Ist übrigens oft so bei diesen Segelclubs an kleineren Insel- oder Küstenhäfen. Da haben die normalerweise noch einen Hauptjob nebenher. Und der Herr Tapken arbeitet hier im Restaurant. Das passt gut, hat er mir am Telefon gesagt.«
»Na, dann lass uns mal reingehen. Vielleicht kriegen wir ja 'nen Kaffee von ihm.«
***
Christine saß im Büro der Polizeistation Langeoog an der Kaapdüne. Sie hatte erneut Horst Schönebergs Privatnummer aus dem Protokoll herausgesucht. Gestern hatte sich niemand mehr gemeldet, und auf den Anrufbeantworter hatte sie nicht gesprochen. Jetzt, am Morgen, würde hoffentlich jemand da sein. Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, sie hätte von Angesicht zu Angesicht mit ihm sprechen können. Aber da das nicht ging und sie intuitiv das Gefühl hatte, er würde offener sein, wenn sie ihn anrief, als wenn sie ihn über die Oldenburger Kollegen vorladen und befragen ließe, musste sie sich mit dem Telefon
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