Mord Unter Segeln
fassungslos den Kopf. »Hätte ich das geahnt.«
»Na, nun ist es leider so, wie es ist, und wir müssen wissen, wer auf das Schiff konnte beziehungsweise wer damit hätte losfahren können«, wiederholte Lemke.
»Tja. Wer hätte damit lossegeln können?« Tapken überlegte. »Das wäre zunächst mal natürlich ich. Dann Sven, Tobias und Fritzi. Die betreiben die kleine Werft nebenan. Kümmern sich um die Schiffe, wenn deren Eigner nicht können, holen sie im Winter aus dem Wasser, um sie in der Halle zu lagern. Wenn Reparaturen anstehen, übernehmen die drei das in den allermeisten Fällen auch. Sven und Tobias sind zwar noch jung, aber sie sind gut.« Tapken fuhr sich über seinen ergrauten Vollbart. »Ich kann's immer noch nicht fassen. Da ist der Harpstedt außer Gefecht gesetzt und so krank. Mannomann.«
»Sind die drei heute hier?«, fragte Oda, die endlich weiterkommen wollte. Immerhin war Freitagnachmittag, die Auflösung des Falles schien mit der Flut wegzudriften, und in Wilhelmshaven war inzwischen Jürgens Tochter eingetrudelt. Sie wollte jetzt nach Hause, wollte zu Jürgen und Alex und sich angucken, was mit Jürgens Tochter auf sie zukam. Am liebsten hätte sie Lemke alles überlassen und wäre davongebraust. Aber natürlich ging das nicht, und sie zog es auch nicht wirklich in Betracht.
»Joa. Die müssten eigentlich da sein. Ist ja Saison. Da gibt's immer was zu tun. Sie können ja mal gucken. Ist gleich hier um die Ecke rum.«
»Danke.« Oda stand auf, reichte Tapken kurz die Hand und war raus, bevor der sein »Na denn tschüs« beendet hatte. Lemke kam hinterher.
»Sag mal, was hat dich denn gebissen, dass du so unter Dampf stehst?«, wollte er wissen.
»Ach, ich will nach Hause. Hier kommen wir momentan nicht weiter, von Manssen und der Spusi gibt's auch nichts, ich will jetzt Feierabend machen.«
»Oda.« Lemkes Tonfall war scharf.
»Ja?«, keifte sie genauso zurück.
»Es geht um Mord. Nicht um Privatangelegenheiten. Können wir uns darauf im Augenblick einigen?«
»Du redest schon genau wie Christine«, giftete Oda. »Tu dich doch das nächste Mal mit ihr zusammen. Das passt bestimmt besser.« Sie stapfte in Richtung der kleinen Werft, ohne sich umzugucken. Begann zu zählen, wie sie es immer tat, wenn sie auf hundertachtzig war. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwan- zig … Mist. Da hatte sie sich jetzt aber verdammt blöd verhalten. Das war echt schiete. Sie blieb stehen und drehte sich um. Lemke kam mit starrer Miene hinter ihr her. »Ey, Heiko. Ich hab das nicht so gemeint. Tut mir leid. Bin ziemlich angeschlagen zurzeit.« Sie streckte ihm die Hand hin. »Freunde?«
Lemke schnaufte kurz. Dann grinste er. »Freunde.«
***
Es war ein schönes Gefühl, gemeinsam mit Sophie im Strandkorb zu sitzen, das Fotoalbum auf den Knien und den Becher Tee in Griffweite. Ilka schämte sich fast ein wenig dafür, dieses Glück zu empfinden, denn das gehörte sich nicht, immerhin war ihre Schwester gerade erst gestorben. Gleichwohl tat es gut, die Wärme ihrer Nichte an den Oberschenkeln zu spüren, ihre Neugier und Aufgeregtheit, was die Familie, was die Vergangenheit betraf. Hatte Simone ihrer Tochter denn gar nichts von früher erzählt? Sophie hörte gebannt zu, während Ilka zu jedem der Fotos kleine Anekdoten erzählte. Vom Familienurlaub am Wörthersee in Österreich, wo sie das erste Mal eine kleine Ferienwohnung gehabt hatten – ein Luxus, hatte die Familie zuvor doch stets in einem Zimmer gewohnt, in dem die beiden Mädchen zusammen auf einem Gästebett schliefen, das meist am Fußende des Doppelbettes stand. Am Wörthersee hatten llka und Simone ein eigenes, klitzekleines Zimmer gehabt, in dem nur für das Etagenbett Platz gewesen war.
Sophie lachte schallend, als Ilka berichtete, dass sie, obwohl mindestens neun Jahre alt, in der ersten Nacht vor Aufregung ins Bett gepinkelt und aus Angst vor der Reaktion der Eltern versucht hatte, das zu verheimlichen. »Ich hab noch den kleinen Stoff-Igel von damals. Mecki. Den hab ich am Wörthersee bekommen. Deine Mama hat auch irgendein Tier gekriegt, ich weiß aber gar nicht mehr, was das war.«
»Als Belohnung dafür, dass du ins Bett gemacht hast?« Sophie kringelte sich vor Lachen, und es schnitt Ilka ins Herz, dieses fröhliche Mädchen mit dem Tuch auf dem Kopf zu sehen, wo doch früher dunkelblonde lange Haare gewesen waren.
»Quatsch. Den haben wir vorher gekauft. Aber ich hab wirklich Angst gehabt, dass sie mir Mecki
Weitere Kostenlose Bücher