Mord Unter Segeln
Zugang dazu hatte.«
»Stimmt.« Jetzt war Oda wieder ganz auf der Höhe. Sie startete den Motor und schaltete die Klimaanlage auf Höchststufe. Es war fast unerträglich heiß im Wageninneren, nachdem das Fahrzeug die ganze Zeit in der prallen Sonne gestanden hatte. In rasantem Tempo fuhr sie an. »Wenn es nicht Harpstedt war, muss es jemand gewesen sein, der wusste, dass die ›Luzifer‹ so schnell nicht vermisst werden würde.«
»Also jemand, der Zugang zu den Unterlagen des Segelclubs hatte«, ergänzte Lemke. Oda spürte, wie ein Stoß Adrenalin durch ihren Körper fuhr. Auch wenn sich die eine Spur als kalt und falsch herausgestellt hatte, so tat sich doch gleich eine neue auf. Das war gut. Oft genug hatten sie auch schon ohne einen Ansatzpunkt dagestanden. »Ruf doch mal bei Nieksteit an«, bat sie. »Vielleicht hat die Spurensicherung ja schon was Neues durchgegeben. Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass Schöneberg beruflich mit dem Restaurant zu tun hatte, in dem Tapken arbeitet. Vielleicht hat Tapken den Ärger mit der verwaisten ›Luzifer‹ einmal in einem Gespräch mit Schöneberg erwähnt?«
In diesem Moment kündigte Odas Handy piepend eine SMS an. Jürgen? Sie löste die Tastatursperre. Tatsächlich. Eine Welle der Erleichterung durchströmte sie. Hab grad mit Alex Laura abgeholt. War froh, dass er dabei war. Hab dich lieb.
Oda schluckte, und die Erleichterung machte einer wehmütigen Wärme Platz. Ohne zu antworten, steckte sie das Handy zurück in die Tasche.
»Alles gut?«, fragte Lemke.
»Joa, alles gut«, antwortete sie. Und fühlte sich genau so.
***
Horst Schöneberg saß im Ledersessel in der Ecke seines Allerheiligsten und starrte auf die Modellbaulandschaft. Die Züge liefen monoton über die Gleise, ein eintöniges Rattern, ohne jegliche Abwechslung. In den vergangenen beiden Stunden hatte er über das Telefonat mit der Kommissarin nachgedacht. Das heißt, er hatte erst nachgedacht, dann ein kleines Nickerchen gemacht und anschließend wieder nachgedacht. Er hätte nicht schon am frühen Morgen trinken sollen, er war es auch gar nicht gewohnt, morgens schon Alkohol zu trinken. Der machte ihn müde. Aber jetzt hatte er das Gefühl, der Alkohol würde ihn schützen. Natürlich war das Quatsch. Das wusste er. Doch es tat so gut, wenn der Schnaps seine Kehle hinunterrann und sich augenblicklich eine Leichtigkeit einstellte, die ihn alles nicht mehr so schwer nehmen ließ. Alles? Na ja. Es ging gar nicht um alles, es ging um Simone. In der letzten Stunde hatte er darüber nachgedacht, wie er weiter vorgehen sollte. Er war sich schlau vorgekommen, als er den Inhalt des Mail-Accounts gelöscht hatte. Schließlich las er seit Jahren die einschlägigen Computerfachzeitschriften und wusste, wie man etwas vernichten konnte. Doch der IT-Polizist war schlauer gewesen. Damit war er in Erklärungsnot gekommen. Ein ICE entgleiste. Es klopfte an der Tür.
»Horst?« Edeltrauds Stimme klang zaghaft.
»Lass mich in Ruh.«
»Horst. Bitte. Ich weiß doch gar nicht, was los ist. Und ich mach mir Sorgen. Ich bin so hilflos, wenn du mir nicht sagst, was mit dir los ist.«
»Ich, ich, ich«, brüllte Horst und stand auf. Endlich hatte er den Kanal, den er zum Abreagieren brauchte. Er öffnete die Tür. Edeltraud stand aufgelöst vor ihm, das stets perfekt geschminkte Gesicht war verweint, und ihre Bluse hatte Knitterfalten. »Merkst du eigentlich, dass immer nur du in deinen Gedanken im Vordergrund stehst? Hast du schon jemals darüber nachgedacht, wie es den Leuten in deinem Umfeld geht?«
»Aber ich will doch nur –«
Weiter ließ er Edeltraud nicht reden. »Ja. Du willst doch nur. Lass mich bloß in Ruhe.« Er knallte die Tür wieder zu. Hörte, wie seine Frau sich draußen schluchzend entfernte. Sie begriff nichts.
Er stellte den ICE, dessen Räder sich surrend immer noch drehten, aufs Gleis zurück. Sofort nahm der seine Fahrt wieder auf. Mit einem Mal trat Schöneberg mit aller Kraft, die in ihm steckte, gegen seine Konstruktion. Es gab einen kurzen Ruck, nun entgleisten alle Züge. Das Surren der Räder wurde schlagartig lauter. Einen Moment starrte Schöneberg auf das, was er angerichtet hatte, und dachte nach. Wie auch immer er es drehte und wendete, es führte kein Weg an einem nochmaligen Gespräch mit der Polizei vorbei.
Er legte den Hauptschalter um. Das Surren verstummte, und in die aufkommende Stille hinein drückte er die Telefonnummer, die die Kommissarin ihm
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