Mord Unter Segeln
wieder wegnehmen. Drum hab ich behauptet, ich sei es gar nicht gewesen, die ins Bett gemacht hat.« Ilka schmunzelte bei dem Gedanken an die fast schon verschüttete Kindheitserinnerung. Verdammt, war das lang her.
Plötzlich kiekste Sophie. »Ey, guck mal, das bin ja ich!«
Sie tippte auf ein Foto, auf dem beide Schwestern nebeneinander auf einer niedrigen Steinmauer saßen, die Köpfe einander zugewandt, sodass die Gesichter nur im Profil zu sehen waren.
Ilka stutzte. »Du Dummchen«, sagte sie, »das Foto ist doch schon über dreißig Jahre alt.«
»Dann ist das Mama. Ist ja total witzig. Findest du, dass ich heute immer noch Ähnlichkeit mit Mama hab?«
Ilka überlegte kurz, entschloss sich aber, Sophie nicht in ihrem Irrtum zu belassen. »Nein«, sagte sie, »das Mädchen bin ich. Deine Mama ist die andere.«
»Du?« Sophie kräuselte die Nase, was sie noch niedlicher machte. »Dann seh ich aus wie du?«
»Nein. Natürlich hast du Ähnlichkeit mit deiner Mama. Lass mich mal sehen.« Ilka nahm Sophies Kinn in die Hand und begutachtete ihre Nichte. »Hmm.« Pause. Ein Drehen des Kopfes nach links. »Hmm.« Ein Drehen des Kopfes nach rechts. Sophie spielte artig mit. »Hmm.«
»Also?«, fragte Sophie neugierig.
»Die Augen. Die hast du von deiner Mutter. Ganz klar.«
»Nur die Augen?« Sophie klang enttäuscht.
»Na ja. Das ist doch was, oder? Darauf kannst du stolz sein. Deine Mama hatte ganz wunderbare Augen. Guck doch mal.« Ilka überblätterte ein paar Seiten im Fotoalbum, bis sie zu einem Bild kam, das Simone am Tag ihrer Konfirmation zeigte. Ein jugendliches, unschuldiges, strahlendes Lachen und ein offener, ebenso strahlend unschuldiger Blick. Ilka sah ihre Nichte an. Ja. Auf diesem Foto war sie ganz unverkennbar Simones Tochter.
»Und was hab ich von Papa?« Sophie drehte wieder den Kopf hin und her. Ilka schluckte kurz, bevor sie bewusst heiter sagte: »Ja, da muss ich natürlich noch mal gucken. Fangen wir bei der Größe und der Statur an. Steh mal auf.«
Fröhlich baute Sophie sich vor ihr auf und drehte sich um sich selbst.
»Du hast Busen. Nee, den hat dein Vater nicht. Vielleicht hätte er einen, wenn er dicker wäre?« Ilka lächelte. »Aber du bist größer als deine Mutter.«
»Das zählt nicht.« Sophie schüttelte den Kopf. »Größe ist kein wirkliches Erbmerkmal.«
»Dann kannst du dich wieder setzen.« Ilka klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich. »Müssen wir also noch mal dein Gesicht studieren.« Wieder nahm sie das Kinn ihrer Nichte in die Hand. »Ob es die Ohren sind?«, fragte sie laut. »Oder die Nase? Simones Nase hast du jedenfalls nicht. Aber es könnte auch die Nase deiner Oma oder deines Opas sein. Oder von deinen Uromas und Uropas«, sagte sie. »Von denen hast du ja auch Gene geerbt.« Sie ließ Sophies Kinn los. »Egal, irgendwo wird es schon eine Ähnlichkeit mit deinem Vater geben. Die kann sich auch erst später bemerkbar machen. Oder im Wesen und nicht in Äußerlichkeiten.« Ilka glaubte in diesem Moment allerdings selbst nicht an das, was sie sagte.
***
Peter Gerjets stand in der Küche, gleich neben der Tür zur Terrasse. Er hatte das Gespräch mitgehört. »Belauscht« wäre wohl das richtige Wort gewesen. Aber lauschen, belauschen, das waren Worte, die es bis vor einiger Zeit in seinem Wortschatz nicht gegeben hatte. Jedenfalls so lange nicht, bis Sophie ins Internat auf dem Festland gekommen war. Danach hatten sich auf der Insel und in angeblich gut gemeinten Telefonaten und Mails – immerhin war er auf der Bohrinsel weit ab vom Schuss – die Gerüchte gemehrt, dass Simone ihrem … Freiheitsdrang freien Lauf ließ. Zunächst hatte Peter es nicht glauben wollen und alles empört zurückgewiesen. Dennoch hatte er bei seinen Aufenthalten zu Hause auf Zeichen geachtet. Und welche entdeckt. Kleinigkeiten, die ihm unter normalen Umständen überhaupt nicht aufgefallen wären. Postkarten mit Sinnsprüchen und nur einem kurzen handgeschriebenen Gruß. Anrufe, die Simone mit jenem kehligen Lachen entgegennahm, das er selbst lange nicht mehr von ihr gehört hatte. Auch die Zeit, die sie sich abends für das Lesen und Beantworten ihrer Mails nahm, war länger geworden. Zunächst hatte er ihren Beteuerungen, das liege eben daran, dass sie nur abends freie Zeit hatte, geglaubt. Letztlich jedoch war Peter dankbar für die Beobachtungen jener Spitzel gewesen, die er früher nicht mal mit dem nackten Hintern angesehen hätte. Durch sie war er
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