Mord zur Bescherung
hat, um so was zu stehlen. Was fehlt also, Mrs. Withers?«
Honey merkte, dass sich langsam Ungeduld in seineStimme schlich. Das Zimmer wirkte unberührt. Die Lichter der Stadt glitzerten hinter Fenstern, die keine Spur von einem gewaltsamen Eindringen zeigten. Auch die Haustür war noch völlig intakt gewesen, das Schloss unbeschädigt.
Doherty fragte Mrs. Withers, wieso sie darauf bestand, dass hier jemand herumgeschnüffelt hatte.
»Es ist alles viel zu ordentlich aufgeräumt«, antwortete sie. »So mochte es Mr. Scrimshaw nicht. Er wollte immer gern nur die Hand ausstrecken und finden, was er brauchte. Es war unordentlich, aber schließlich hat jeder das Recht, so unordentlich zu leben, wie er will.«
Doherty zog eine Schublade der alten Anrichte auf. »Messer und Gabeln«, sagte er. Er fuhr mit dem Finger über das Besteck, das leise klirrte.
Honey konnte sehen, dass er gründlich nachdachte. Doherty war in dieser Stimmung immer zweimal so attraktiv, seine Gesichtszüge noch mal so kantig und maskulin. Honey schaute genauer hin, um zu begreifen, was sie heute so schwach machte.
Er trug unter der üblichen Lederjacke – kurz, mit einem Schlitz hinten und zweireihig geknöpft – ein dunkelgrünes Hemd. Er liebte diese Jacke, obwohl sie an manchen Stellen schon ganz abgeschabt war und sich die Kragenecken hochrollten. Dieser leicht schäbige Look passte auch zu seinen Jeans.
Er hatte die Jacke Sommer wie Winter an. Wenn alles nach Plan verlaufen wäre, hätte er sich heute ein wenig schicker angezogen, vielleicht einen Anzug oder etwas weniger förmliche Freizeitkleidung gewählt. Einen warmen Mantel drüber, vielleicht? Aber obwohl es kalt war, hatte Doherty einfach nichts für solche Dinge übrig. Er sah jedenfalls nicht so aus, als fröre er. Honey hegte den Verdacht, dass sein Körper selbst bei diesem Wetter noch warm sein würde, wennsie sich an ihn kuschelte. Die Gelegenheit, das zu überprüfen, würde sich leider erst später ergeben.
Mrs. Withers verschränkte die Arme vor ihrer Strickjacke und zog die Brauen in die Höhe. »Hier hat jemand aufgeräumt, und ich war’s nicht.«
Sie verkündete das, als wäre sie die Hüterin eines kleinen Königreiches. Des kleinen Königreiches von Mr. Clarence Scrimshaw.
»Und da ist niemand, von dem Sie vermuten würden, dass er oder sie hier aufgeräumt hat – nahe Verwandte zum Beispiel?«
»Nicht dass ich wüsste. Ganz bestimmt nicht im Ort. Aber wenn jemand auftaucht, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie es mir sagen würden. Der alte Knacker schuldet mir noch Geld fürs Saubermachen und so. Kann ich um diese Jahreszeit gut gebrauchen.«
»Ach wirklich?« Doherty war ganz Ohr.
»Klar, er schuldet mir noch Geld. Wir haben – vielmehr wir hatten – eine Abmachung. Ich habe das ganze Jahr über immer meine Zeit aufgeschrieben, ihm die Aufstellung gegeben, und er hat mich dann zu Weihnachten bezahlt.«
»Ja, ich verstehe, dass Geld gerade jetzt sehr gelegen kommt«, meinte Doherty und nickte. »Ich nehme an, Sie haben für Ihre Familie Geschenke zu kaufen.«
Sie spuckte beinahe vor Verächtlichkeit. »Da liegen Sie ganz falsch. Für Weihnachten habe ich das nie ausgegeben!«, rief Mrs. Withers. »Ich habe damit meinen Sommerurlaub bezahlt! Ich buche immer gleich nach Neujahr. Deswegen haben Mr. Scrimshaw und ich uns doch so gut verstanden. Wir konnten beide Weihnachten nicht leiden. Und Verwandte auch nicht.«
»Wer sonst außer Ihnen hatte noch einen Schlüssel?«, fragte Doherty.
»Soweit ich weiß, niemand.«
Es hatte keinen Sinn, dass Mrs. Withers noch länger blieb, und Doherty sagte ihr das. »Wir schauen uns um, suchen nach Hinweisen und schließen dann ab, wenn wir gehen.«
Mrs. Withers war das recht, und sie betonte noch einmal, wenn ein verschollener Verwandter des Verstorbenen auftauchte, sollten sie den wissen lassen, dass man ihr noch ein hübsches Sümmchen schuldete.
»Die müssen einen Schlüssel gehabt haben«, überlegte Doherty laut. Genau das hatte Honey auch gerade gedacht. »Aber warum aufräumen?«
Eines der anderen Zimmer war verschlossen.
Während Doherty die Schlüssel einzeln musterte, rüttelte Honey noch einmal an der Klinke.
»Das ist aus einem bestimmten Grund verschlossen«, meinte Doherty, ein Auge auf den Schlüsseln, eines auf Honey.
»Na gut, da ist was drin, das Mrs. Withers nicht sehen sollte. Familienschmuck vielleicht?«
Doherty begann, laut nachzudenken. »Was ist hier drin, und wo ist der Schlüssel?
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