Mord zur Bescherung
hängengeblieben. Sie hatte nicht immer auf Durchzug geschaltet, wenn ihre Tochter begeistert erzählte und richtig in Schwung kam.
»Moorleichen sind Überreste von Menschenopfern aus keltischen Zeiten. Du hast dir vielleicht schon gedacht, dass man sie in Mooren findet – in Torfmooren überall in Europa.«
»Das ist wirklich ein nettes weihnachtliches Thema.«
Sie schaute ihn an, erwartete einen leicht glasigen Blick und ein kaum unterdrücktes Gähnen. Aber so war es nicht. Er hatte sein ernstes Gesicht aufgesetzt, das er sich für wichtige Themen aufhob.
»Nun«, sagte sie und freute sich, dass sie so gut Bescheid wusste, »ich erinnere mich an einen Moorleichenfund in den Midlands, an dem noch ziemlich gut zu sehen war, auf welche Art und Weise man das Menschenopfer vollzogen hatte. Den zertrümmerten Schädel der Leiche führte man auf einen Schlag auf den Kopf mit einem schweren Gegenstand zurück, aber das Opfer wurde auch erwürgt, hatte den Strick noch um den Hals, und man hatte es zudem erstochen. Drei Todesarten. Drei ist in den meisten Religionen eine heilige Zahl, weißt du. Ganz bestimmt war das bei den alten Britanniern auch so.«
Steve musterte sie immer noch mit seinem ernsten Polizistenblick, zog das Blatt Papier aus der Tasche und reichte es ihr. Es war spröde und wirklich alt. Die Quittung war am 23. Februar 1956 ausgestellt. Es war ein rituelles Messer gekauft worden, zum Preis von fünfundsiebzig Guineen 13 .
»Gut. Also war es wertvoll.«
»Und derjenige, der es benutzt hat, wollte es behalten – aber trotzdem ein Messer am Tatort hinterlassen.«
Doherty spitzte die Lippen, während er darüber nachdachte. »Aber warum sich die Mühe machen, dem Mann einen Brieföffner ins Ohr zu rammen?«
»Damit es wie ein heidnisches Menschenopfer aussah?«
»Vielleicht. Wir müssen da Erkundungen einziehen, herausfinden, ob Scrimshaw mit solchen Kreisen Kontakt hatte und, wenn ja, wer noch dazugehörte.«
Honey wusste genau, wen man da fragen sollte. »Ich könnte bei John Rees anrufen.«
Doherty schaute sie durchdringend an. Er wusste nur zu gut, dass John Rees ganz der ihre wäre, wenn sie wollte. Bisher hatte sie nicht gewollt.
»Er ist nichts als ein guter Freund.«
Doherty nickte. »Klar doch.«
John Rees versprach, sich der Sache anzunehmen und sie zurückzurufen.
Zweiunddreißig
Der einzige Wermutstropfen – oder vielmehr das einzige etwas zu heftige Auflodern – am ersten Weihnachtsfeiertag waren die blauen Flammen auf dem Plumpudding. Der war ohnehin reichlich mit Alkohol getränkt, und der zusätzliche Brandy und das Flambieren machten ihn zu einem spektakulären Erfolg. Leider sengte sich Smudger dabei ein wenig die Augenbrauen an.
»Kein Problem!«, rief er, während er sich mit der flachen Hand auf die Brauen klatschte. »Die waren sowieso viel zu buschig.«
Die Gäste und die Hotelangestellten saßen an Achtertischen zusammen. Die Gespräche waren lebhaft und fröhlich, sogar an den Tischen von Mallory und Scrimshaw. Allerdings fiel Honey auf, dass Samantha Browns Mundwinkel nach unten hingen. Sie bemerkte auch, dass die junge Frau sehr nervös reagierte, wenn David Longborough zu ihr hinschaute.
Honey lehnte sich zu Doherty hinüber und tat so, als küsste sie ihn aufs Ohr. »Glaubst du, Longborough war vielleicht ein bisschen eifersüchtig, weil Samantha Mr. Scrimshaw so viel Aufmerksamkeit geschenkt hat?«
»Möglich ist alles.«
Honeys Aufmerksamkeit wanderte schon wieder weiter. Ihre Augen waren überall, wie es sich für eine Hotelbesitzerin gehörte.
Ihren Berechnungen bei der Verteilung der Plätze zufolge hätte es keinen freien Stuhl geben dürfen. Überall standen Namensschildchen. Auf dem freien Platz an demeinen besonderen Tisch hätte Professor Jake Truebody sitzen sollen.
Honey wollte gerade aufstehen, als Clint kam.
»Noch etwas Wein?«
Clint spielte den Gastgeber, eine gestärkte weiße Serviette über dem muskulösen Arm. Er trug einen Kilt und ein weißes Rüschenhemd. An seiner Fliege blinkten kleine Lämpchen in Höchstgeschwindigkeit. Auch den Heiligenschein aus Lametta hatte er wieder aufgesetzt, der wirkte jedoch inzwischen schon ein wenig ramponiert.
Als Honey noch einmal die Tische entlang schaute, war ein weiterer Stuhl frei geworden. Lindseys Platz. Wo immer der Professor war, ihre Tochter würde nicht weit sein.
Am liebsten wäre sie auf der Stelle in Professor Truebodys Zimmer gestürmt, wäre ihr nicht ein anderes Ereignis
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