Mord zur besten Sendezeit
berichtet, dass sie einen unsanften Zusammenstoß mit einer Taxitür gehabt und sich noch nicht davon erholt hatte. Doris war kugelrund und geriet öfter in Notlagen.
Honey wählte den Ausweg aller halbherzigen Diätopfer und wechselte das Thema.
»Ist Anna wieder schlecht gewesen? Ich wollte nicht nachfragen?«
Lindsey nickte. »Ich habe noch nicht mitbekommen, dass ihr übel wurde, aber ich habe mir überlegt, dass sie trotzdem am besten am Empfang arbeiten sollte und dass ich dir helfe, das alles hier aufzuräumen. Doris kommt erst morgen zurück. Sie ist noch nicht über das Trauma mit dem Taxi weg. Jedenfalls dachte ich mir, du willst sicher nicht, dass sich Anna beim Geruch eines englischen Frühstücks übergeben muss.«
Anna, die junge Polin, die als Empfangsdame, Zimmermädchen und Kellnerin arbeitete, war wieder einmal schwanger und litt an Morgenübelkeit. Man munkelte, dass der Vater erneut Rodney (Clint) Eastwood, der Aushilfstellerwäscher des Hotels, war.
In dieses Gespräch über Übelkeit schneite ihr Dauergast Mary Jane herein, eine Professorin des Paranormalen, die sich ein Zimmer mit Sir Cedric teilte, einem längst verblichenen Vorfahren, der angeblich im Eckschrank in ihrem Zimmer wohnte.
Mary Jane kam hereingestürmt, mit der ihr eigenen schrillen Nonchalance. Zur Abwechslung hatte sie einmal nicht zu ihrer üblichen Farbkombination von Pistaziengrün undschrillem Pink gegriffen und trug heute einen wallenden Kaftan, auf dem wild durcheinander rosarote und orangefarbene Tupfen verteilt waren. Armreifen in diesen Farben klirrten an ihren knochigen Armen, und große Ohrringe in ähnlicher Farbstellung baumelten an ihren Ohrläppchen. Sie ähnelte einem jener bunten Zelte, unter denen manchmal auf Zeltplätzen die mobilen Toilettenhäuschen versteckt werden.
»Mir steht der Sinn nach einem kleinen Snack«, verkündete Mary Jane. »Ich habe keine Reiswaffeln und keinen Honig mehr. Ist noch Müsli da?«
Honey holte ihr eine Schüssel Bio-Müsli. »Geht aufs Haus.«
»Danke. Das habe ich bitter nötig. Ich glaube, ich habe gestern zu viel Energie verbraucht. Zuerst habe ich ein paar Leuten, die sich auf der Partnersuchseite deiner Mutter eingeschrieben haben, die Karten gelesen. Ein Extra-Service, den sie online anbietet. Eine kleine übersinnliche Vorausschau, damit die Paare wissen, ob sie zueinander passen.«
»Funktioniert das?«, erkundigte sich Lindsey.
Mary Jane hielt mit dem Löffel in der Luft inne. »Natürlich funktioniert das! Gute Verbindungen sind vom Schicksal vorherbestimmt, so was wird nicht künstlich hergestellt. Gegensätze mögen sich ja anziehen, aber das heißt nicht, dass solche Paare auch länger zusammenbleiben.«
Honey überdachte Mary Janes Worte ernsthaft. Sie und Carl, ihr verblichener Ehemann, waren wirklich genaue Gegensätze gewesen. Honey hatte es damals nicht so wahrgenommen, aber im Rückblick war es ihr so klar wie nur irgendwas. Carl war der Meinung gewesen, eine Ehe spiele sich zwischen zwei Menschen ab, die zusammen im gleichen Haus lebten. Sobald man aber räumlich voneinander getrennt war, war man wieder ledig. Ganz einfach!
Honey war so in Gedanken versunken, dass sie zusammenfuhr, als spindeldürre Finger auf ihrem Arm landeten.
»Ich muss dir von den Australiern erzählen«, flüsterte Mary Jane. »Weißt du, dass ich gehört habe, wie sie um drei Uhr morgensherumgeschlichen sind? Was haben die wohl im Schilde geführt?«
Aus ihrer Erfahrung hätte Honey sofort geantwortet, dass sich diese Gäste vielleicht darauf vorbereitet hatten, ohne Zahlen der Rechnung aus dem Hotel zu verschwinden. Doch sie hatten brav ihre Rechnung beglichen und zur verabredeten Zeit ausgecheckt.
»Vielleicht eine Gespensterjagd?«
Mary Jane schüttelte den Kopf. »Die haben nicht an Geister geglaubt. Haben gesagt, es wäre ein Haufen Unfug, als ich Ihnen von Sir Cedric berichtet und erzählt habe, dass ich dem Gespensterjagdverein von Bath und West Country beigetreten bin. Sie haben mich angeschaut, als hielten sie mich für verrückt. Stell dir das bloß vor!«
Der seltsame Gesichtsausdruck der beiden Australier, als sie das Hotel verließen, war Honey nun völlig klar.
»Die schienen aber ganz nett zu sein«, meinte Honey.
»Sie waren nicht auf Urlaub hier, weißt du. Die haben jemanden gesucht. Haben sie mir gesagt.«
Honey zuckte die Schultern. »Das machen doch viele Leute. Viele Australier haben Verwandte hier, und die verlieren schon mal den Kontakt zur
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