Mord zur Geisterstunde
bestätigte sich seine Vermutung.
»Bist du das, Simon?«
Als könnte es zu dieser Tageszeit irgendjemand anders sein!
Simon, der zweiundzwanzigjährige Sohn, verzog das Gesicht, als er sich den Regen von der Jacke schüttelte. Warum hörte sie es kaum, wenn jemand an der Tür klingelte, und war doch so hellwach, wenn er nachts nach Hause kam?
»Ja«, antwortete er mit gezwungen fröhlicher Stimme. Seine Mutter würde glauben, dass er lächelte.
Er schaffte es tatsächlich, die Zähne ein wenig zu einer guten Imitation eines Lächelns zu fletschen, als er kurz ins Wohnzimmer sah.
Seine Mutter saß auf einem Sessel, den sie sich etwa anderthalb Meter vor den Fernseher gezogen hatte. Zu beiden Seiten standen kleine, dreibeinige Beistelltischchen mit zierlichem Rand. Ursprünglich waren sie einmal dazu gedacht gewesen, dass ein Herr – oder eine Dame – darauf ein Wein- oder Kognakglas abstellte.
|35| Im Falle seiner Mutter befand sich auf dem einen eine Schachtel Malteser – Schokokugeln, angeblich »leichter als Luft« – und auf dem anderen ein Glas mit Jameson Irish Whiskey. Ein Porzellanschälchen quoll vor Nussschalen und Bonbonpapierchen über. Es war ein ziemlich wertvolles, hübsches kleines Meißener Porzellanschälchen. Das konnte seine Mutter nicht wissen. Genauso wenig ahnte sie, wie viel er dafür bei eBay geboten hatte.
Er trug das Schälchen in die Küche, um es auszuleeren. Nachdem er es unter laufendem Wasser ausgespült und sorgfältig abgetrocknet hatte, brachte er es ihr zurück.
»Ist alles nach Plan verlaufen?«, fragte sie, ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden.
»Ja«, antwortete er. »Ich gehe jetzt ins Internet. Bis morgen. Gute Nacht, Mutter.«
»Gute Nacht.«
Er hielt inne. Fasziniert blickte er darauf, wie das Licht auf ihrem Gesicht schimmerte. Durch ihr schütteres Haar hindurch konnte er die Form ihres Schädels und die braunen Flecken auf der Haut ausmachen.
Sie trommelte gedankenverloren mit den Fingern auf die Lehne ihres Sessels. Sie hatte schwache Nerven, und damit wurde es zusehends schlimmer. Die viele Schokolade und die Unmengen von Pralinen. Der viele Alkohol. Es musste ja so kommen.
Leise zog er die Tür hinter sich zu. Nachdem Simon sich vor der Welt und seiner Mutter in sein Schlafzimmer zurückgezogen hatte, blickte er lächelnd auf den Bildschirmschoner, der vom Monitor leuchtete. Im Augenblick war es die Tudor-Rose, eine Mischung aus der weißen Rose von York und der roten Rose von Lancaster, eines seiner Lieblingsmotive.
Er rief die Website seines Unternehmens auf. Seine Mutter wusste nichts von dieser außerdienstlichen Beschäftigung. Die Arbeit machte ihm ungeheuer viel Spaß. Und er verdiente damit eine ordentliche Stange Geld.
Auf dem Bildschirm erschienen satte Blau- und Burgundertöne |36| – eine kolorierte Frottage, die einen Ritter in voller Rüstung zeigte, dazu eine Dame mit wallendem Gewand und spitzem hohem Hut.
The Noble Present 2
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|37| 7
Das Telefon klingelte früh am Morgen.
»Hannah. Ich bin’s. Was tust du gerade?«
Nur ihre Mutter nannte sie Hannah. Honey schloss die Augen und fing an, langsam bis zehn zu zählen. Sie schaffte es sogar bis fünfzehn.
»Ich bin auf dem Weg in die Küche.«
»Na, egal, das macht nichts. Ich muss unbedingt mit dir sprechen. Es ist wichtig.«
Honey schaute zur Decke. »Mutter, ich habe ein Hotel. Die Küche ist das Herz und der Maschinenraum des Green River. Da gibt es einiges zu erledigen um diese Zeit.«
»Du hast doch einen Chefkoch!«
»Der hat heute seinen freien Tag.«
Das stimmte nicht ganz. Smudger Smith, Chefkoch von außerordentlichem Rang und ehemaliger Freistilringer, hatte sich gestern Abend mit ein paar alten Freunden getroffen. Gerade hatte Lindsey vom Empfang aus angerufen und die Nachricht übermittelt, Smudger säße auf dem Boden des Kühlraums und presste sich einen Beutel gefrorener Erbsen an den Schädel und einen anderen an den Schritt. Warum er sich die Tiefkühlerbsen an den Kopf hielt, hatte Honey sofort begriffen. Sie hatte sich vorgenommen, unverzüglich nachzusehen, was und wie viel Smudger gebechert hatte. Man würde einiges nachfüllen müssen. Den Grund für den zweiten Erbsenbeutel wollte sie sich auf keinen Fall ausmalen. Männer taten seltsame
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