Mord zur Geisterstunde
Zweige, die in riesigen Töpfen steckten. Dass sie es schaffte, überhaupt einen Fuß zu heben, ohne aus den Stiefeln zu fahren, grenzte schon an ein Wunder.
Honey stand da und schaute dümmlich grinsend hinter Mary Jane her, die bereits den Rückzug in Richtung Haus antrat. Sie fragte sich, ob das Herumwedeln mit indianischem Räuchersalbei schon als Rauchen an einem öffentlichen Ort zählte. Gedanken an Geldbußen von zweitausend Pfund schossen ihr durch den Kopf und machten ihr weit mehr zu schaffen als der Qualm.
»Mary Jane, meinst du, du könntest woanders räuchern? Vielleicht im Garten? Ich erinnere mich, dass du mir von Aktivitäten berichtet hast, an der Stelle, wo früher der Rosengarten war …«
|43| Mary Jane blieb stehen, richtete sich zu voller Größe auf und schaute sich um. Zunächst wirkte ihr Gesicht völlig unerbittlich. Honey wollte sich gerade entschuldigen und sagen: »Ach, zum Teufel, was macht schon eine kleine Geldstrafe, und wen schert es, wenn sich die Gäste die Lungen aus dem Leib husten? Räuchere ruhig weiter. Pass nur bei den Trockenblumen auf. Die fangen so leicht Feuer.«
Mary Jane kniff die Augen zusammen, holte tief Luft, blähte ihren Brustkorb weit auf und begann dann »Ommmmm« zu summen. Wenn sie das lange genug durchhielt, konnte einem das wirklich Zahnschmerzen verursachen.
»Also«, meinte Mary Jane, als sie endlich fertig war, »dieser bösartige kleine Kobold ist nun ins Koboldland zurückgekehrt.« Sie machte eine Pause. »Ich glaube, du hast recht mit der Sonnenuhr. Ich schaue mir das gleich mal an. Ich denke, ich werde nicht viel Salbei verbrennen müssen, um dem Abhilfe zu verschaffen.«
Und das Gras ist so feucht, dass sie es nicht in Brand stecken kann, ergänzte Honey in Gedanken.
Der Salbei hatte sich tatsächlich als nützlich erwiesen, denn sein Geruch hatte den Müllgestank ein wenig übertönt. Müll ist wie Wein, dachte Honey. Je älter, desto intensiver das Bouquet.
Sobald die Drecksarbeit getan war, zerrte sie sich die Stiefel von den Füßen und schlüpfte wieder in ihre eleganten Schuhe. Andere Arbeit, andere Fußbekleidung.
Niemand stand hinter dem Empfangstresen, als sie dort ankam. Es war Lindseys Schicht. Honey runzelte die Stirn. Ihre Tochter war doch sonst die Zuverlässigkeit in Person. Wo steckte das Mädchen bloß?
Dann sah sie ihre Tochter. Sie stand draußen vor der Eingangstür und redete mit jemandem, den Honey nicht recht ausmachen konnte.
Lindsey wandte sich halb um und bemerkte ihre Mutter. Sofort verschwand die andere Gestalt. Lindsey kam lächelnd wieder hereingeflitzt.
|44| Honey deutete mit dem Kinn zur Tür. »Jemand, den ich kenne?«
»Nein«, erwiderte Lindsey, die plötzlich ungeheuere Geschäftigkeit an den Tag legte. »Jemand, der nach dem Weg gefragt hat.«
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Die Eingangshalle duftete nach Bienenwachs und Rosen. Das Wachs hatte dem dunklen Mahagoniholz des Empfangstresens einen wunderbaren Schimmer verliehen. Großblumige Rosen in Weiß und Puderrosa waren zusammen mit anderen Blüten in einer großen Schale mit verschlungenen Griffen arrangiert. Das Gefäß glänzte in einem tiefen Sèvres-Blau, und die vergoldeten Griffe sahen aus wie Elefantenohren.
Gerade checkte eine japanische Familie ein. Die Eltern wirkten sehr elegant. Die Kinder kauten Kaugummi und waren in Anbetracht der Jeans, die sich über prallen Bäuchen spannten, wohl begeisterte Fans von Hamburgern und Fast Food.
»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag«, sagte Lindsey, als die Formalitäten endlich erledigt waren. Sie wandte sich ihrer Mutter zu. »Hast du Sorgen?«
Honey spielte nervös mit einem Stift und dem Gästeregister. »Ihre Ladyschaft ist immer noch nicht eingetroffen.«
»Fuchtel nicht so mit dem Stift herum. Das gibt nur Flecke.« Lindsey nahm das Gästeregister wieder an sich.
»Na, das ist mal was anderes. Normalerweise kommen die Gäste zum Empfang und melden, dass ihr Gepäck verloren gegangen ist – nicht anders herum.«
Honey schaute zu, wie ihre Tochter die japanischen Namen in den Computer eintippte. Sie hatte die Augen auf den Bildschirm gerichtet, war aber mit den Gedanken ganz woanders. Sollte sie die Tasche öffnen? Sie merkte, dass sie in Versuchung war, ungeduldig mit den Fingern zu trommeln. Am besten gab sie den Fingern also etwas anderes zu tun, überlegte sie. Die äußeren Blütenblätter der Rosen mussten dringend abgezupft werden.
»Was machst du denn da?«, erkundigte sich
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