Mord zur Geisterstunde
Dinge, wenn sie betrunken waren.
»Hannah, ich mache mir große Sorgen.«
Honey hielt die Luft an. Ihr Mutter war eine zähe Kämpferin, die geborene Überlebende. Jede Frau, die so viele Ehemänner verschlissen hatte, musste so sein.
|38| »Hat es was mit einem Mann zu tun?«
»Natürlich nicht. Warum sollte ich mir Sorgen um einen Mann machen?«
»Ich dachte, du hättest vielleicht … Na, ist ja auch egal.« Gloria Cross hielt es für ihre Mutterpflicht, einen neuen Ehegatten für ihre Tochter zu finden. Leider hatte sie in puncto Männer einen völlig anderen Geschmack als ihre Tochter. Außerdem war Honey der Meinung, dass sie erwachsen genug wäre, selbst einen zu finden. »Wo liegt dann das Problem?«
»Es ist der Laden. Das Second Hand Rose. Wir haben ein Problem. Ich muss das unbedingt mit dir besprechen.«
Honey schaute auf die Uhr. Es war schon schwer genug, den Job und die knapp bemessene Freizeit auf die Reihe zu kriegen. Auch noch Zeit für die Familie herauszuschinden, das grenzte an Zauberei.
»Mutter, jetzt geht es gerade wirklich nicht. Die Gäste bekommen schlechte Laune, wenn wir ihnen nicht rechtzeitig ihr Frühstück servieren. Könnten wir uns nicht später unterhalten?«
»Also, das ist doch die Höhe! Meine Tochter kümmert sich lieber um wildfremde Leute, als ihrer armen alten Mutter zu helfen!«
Man konnte Gloria Cross beim besten Willen nicht als gebrechliche alte Dame bezeichnen. Sie war quirlig und quicklebendig, wild aufs Flirten und schlicht furchterregend. Außerdem war sie egoistisch, nervig, dominant und gereizt, wenn sie etwas wollte.
Honey würgte ihr Handy symbolisch mit beiden Händen, ehe sie in den sauren Apfel biss und sich wieder auf das Gespräch einließ.
»Wer hat dich denn so aus der Fassung gebracht?«
Ihre Mutter schaltete auf einen klagenden Ton um. »Na, das ist ja wieder mal typisch. Ihr jungen Leute mit eurem hektischen Lebenswandel habt keine Zeit für die Probleme von uns Alten. Und dabei bin ich deine Mutter! Aber mach dir keine Gedanken um meine Probleme. Deine Mutter ist zwar Rentnerin, aber sie kann ganz gut für sich selbst sorgen.«
|39| Die Sache war wirklich ernst! Nie, nie – niemals! – hatte ihre Mutter sich als Rentnerin bezeichnet. Seniorin, Dame im reifen Alter, das vielleicht. Aber das bloße Wort Rentnerin beschwor Bilder von gebrechlichen alten Damen mit rutschenden, um die Knöchel Falten werfenden Stützstrümpfen und platt gedrückten Filzhüten herauf. Und Honeys Mutter war alles andere als das.
Honey war sofort völlig zerknirscht.
»Mutter, nein, wenn du ein Problem hast, dann sag’s mir.«
»Ich möchte dich nicht noch mehr belasten.«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang nun womöglich noch zarter und schwächer. Als läge jemand in den letzten Zügen.
»Wie wäre es, wenn du auf einen Kaffee vorbeikämst?«
»Prima! Ich rufe beim Empfang an und mache mit denen eine Uhrzeit aus.«
Rums, schon hatte sie aufgelegt.
»Aua.«
Jedes Mal durchströmte Honey ein Gefühl der Erleichterung, sobald ihre Mutter zu reden aufgehört hatte. Jetzt auch, aber nun kamen noch Schuldgefühle hinzu. Als sie beim Empfang angekommen war, hatte sie das Handy bereits wieder aufgeklappt und war drauf und dran, um Verzeihung zu flehen. Glorias Telefon war besetzt.
»Später«, sagte Honey sich, »ich rufe sie später an.«
Wenn man sich vor einer Verantwortung drücken wollte, verbarrikadierte man sich am besten in der Vorratskammer. Es hatte eine therapeutische Wirkung, Behälter mit Reis, Nudeln, Zucker und Salz zu sortieren und Regalbretter abzuwischen. Wenn man sich Lindseys iPod auslieh, verlieh die Musik der Sache noch extra Schwung. Honey wackelte bei der Arbeit mit dem Hinterteil. Sie hatte irgendwo gelesen, dass man davon eine schmalere Taille bekam. Und es lenkte sie von ihren Gedanken ab.
Honey schrubbte gerade an einem besonders hartnäckigen Fleck herum. Immer schön konzentriert bleiben. Das war das Geheimnis. Alles war wunderbar und würde auch so bleiben.
|40| Dann schlug Murphys Gesetz zu: Alles, was schiefgehen kann, geht auch wirklich schief.
Lindsey tippte ihr auf die Schulter. Tina Turner und »Simply the Best« wurden auf Pause gestellt.
Lindseys Miene ließ auf schlechte Nachrichten schließen. »Wasser überall! Es kommt überall rein!«
Smudger, der Chefkoch, der sich inzwischen beinahe von seinem Kater erholt hatte, kam aus der Küche herbeigerannt. Sein blasses Gesicht war rosig vor Ärger und vom
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