Mord zur Geisterstunde
bezeichnete Schwiegermutter sich revanchierte, indem sie den Bräutigam mit einem wohlgezielten Schwung ihrer Handtasche k. o. schlug. Er hatte bis dahin wohl kaum geahnt, was für schwere Sachen eine Frau in ihrer Handtasche mit sich herumschleppt. Doch das war eine Familienangelegenheit gewesen, und das Opfer war mit einer Gehirnerschütterung davongekommen. Hier jedoch ging es um Mord.
Als eine der letzten Personen, die Wanda Carpenter – Lady Templeton-Jones – noch lebend gesehen hatte, musste auch Mary Jane befragt werden. Als sie kam, trug sie ein kleines Reiseschreibpult aus georgianischer Zeit unter dem Arm. Honey bot ihr ein Croissant an.
Mary Jane schaute das Hörnchen verächtlich an. »Ich hätte lieber Vollkornkekse mit Schokoladenglasur, wenn das geht?« Prompt wurde Lindsey herbeigerufen und beauftragt, welche zu holen. Sie kam mit einem Tablett mit Keksen und einem Headset auf dem Kopf zurück. Sie hatte in letzter Zeit angefangen, über den Computer zu telefonieren.
Steves Miene hellte sich auf. »Du siehst ja richtig nach High-Tech aus, Lindsey. Fast wie ein Trekkie.«
Honeys Tochter schnitt ihm eine Grimasse. »Findet meine Mutter auch. Die sagt, damit sähe ich eher nach Raumschiff Enterprise als nach Empfang vom Green River Hotel aus. Bis ich ihr erklärt habe, dass Telefonate über den Computer billiger sind, manche sogar kostenlos.«
»Also, unsere Lady war keine echte Lady«, meinte Honey, die das Thema wechseln wollte. Technische Dinge ließen sie völlig kalt – und dazu gehörten Computer, DVD-Player, die Zeituhr an der Mikrowelle und sogar ihr uralter Videorecorder. Das Mobiltelefon war ein notwendiges Übel, obwohl sie damit nur telefonierte und SMS verschickte. Alles andere ging über ihren Verstand.
»Ha!«, sagte Mary Jane laut genug, dass Lindsey erschrocken auffuhr und die Tassen klirrten. »Ich
wusste
einfach, dass das keine
echte
Lady war. Echte Ladies haben Stil. Man kann auf den |72| ersten Blick erkennen, ob jemand aristokratische Vorfahren hat oder nicht. Sehen Sie zum Beispiel mich an.«
Alle blickten sie an. Und zwar verständnislos. Niemand sagte ein Sterbenswörtchen.
Mary Janes Vorfahren waren wohl ein wenig exzentrisch gewesen, jedenfalls wenn man davon ausging, dass Kleidungsstil und allgemeines Verhalten sich vererbten. Die Amerikanerin war groß und dünn, hatte Arme wie Besenstiele und trug heute einen kirschroten Hosenanzug. Ihre aus vielen kleinen Löckchen bestehende Haarpracht schimmerte in einem zauberhaften Kobaltblau und wurde von einem quietschgrünen Haarband zusammengehalten. Zweifellos hielt sie sich für eine echte Lady. Das hatte alles mit ihrem Vorfahren zu tun, einem gewissen Sir Cedric, der im Green River spukte, insbesondere in dem Zimmer, das Mary Jane im Augenblick bewohnte.
Langsam wurde das Schweigen betreten.
Steve hatte Erbarmen. »Also, wenn wir mal bei der Sache bleiben …«
Lindsey machte munter weiter. »Mary Jane hat wahrscheinlich recht. Titel kann man heutzutage online kaufen, für ganze dreihundert Dollar. Für die Richtigen muss man allerdings schon mehr als fünftausend hinblättern, für manche sogar bis zu dreißigtausend Pfund oder darüber.«
Mary Jane fiel die Kinnlade herunter. »Was du nicht sagst!«
Steve Doherty horchte höchst interessiert auf. »Es gibt also einen legalen und einen illegalen Markt für Adelstitel?«
»Korrekt.«
»Erzähl mir mehr davon.«
Lindsey, eine unerschöpfliche Quelle historischen Wissens, nickte. »In adeligen Kreisen werden viele alte Titel von einer Generation zur anderen weitervererbt. Die Familie besitzt sie noch, benutzt sie aber oft nicht.«
»Diese Titel … hat ihnen die jemand für Dienste für die Krone verliehen? Ich meine, Heinrich VIII. oder so jemand?«, erkundigte sich Mary Jane fasziniert.
Ein ziemlich kesses Lächeln stahl sich auf Lindseys Gesicht. |73| »Ja, Dienste könnte man das nennen. In der einen oder anderen Schlacht oder im Bett, denke ich.«
Steve rückte näher. »Weiter!«
Honey wusste genau, was jetzt in ihm vorging. Ob das alles historisch korrekt war, scherte ihn nicht, er wollte die pikanten Einzelheiten hören, so viele wie möglich, bitte.
Lindsey blieb sich jedoch treu und hielt sich an die Fakten. »Für den alten Adel ist es kein Problem, einen längst überflüssigen Titel zu verscherbeln, der nicht mehr benutzt wird. Natürlich ist damit keinerlei Landbesitz verbunden, doch die Titel sind beim »Master of Arms« verzeichnet – der
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