Mord zur Geisterstunde
hat die Aufsicht über Adelstitel in allen heraldischen Belangen. Aber wie überall, insbesondere im Internet, gibt es auch immer Schurken. Das erklärt Titel zum Schleuderpreis von dreihundert Dollar – natürlich ein Angebot, das sich vor allem an Amerikaner richtet, doch sind die längst nicht mehr die einzigen Abnehmer. Zum Beispiel kaufen sich auch Leute aus den früheren Kolonien diese Titel.«
Honey stellte die Frage, die auf der Hand lag: »Aber warum? Was ist denn so toll an einem Titel, den man nicht geerbt hat?« Lindsey zog eine Augenbraue hoch und schaute ihre Mutter mit einer Spur – einer winzigen Spur – von Vorwurf an. »So beeindruckt man das Personal.«
Honey spürte, wie ihr heiß wurde. »Ich lasse mich nie von Titeln beeindrucken.«
Wenn möglich, stiegen Lindseys Augenbrauen noch höher. »Das vielleicht nicht, aber du behandelst Leute mit Titeln trotzdem mit Glacéhandschuhen, denn sie könnten dir ja geschäftlich einen Vorteil bringen – eine Empfehlung an Freunde oder eine Erwähnung in einer Hochglanzzeitschrift.«
»Das ist eine völlig andere Sache.«
Steve trat dazwischen. »Lässt
du
dich von Leuten mit Adelstiteln beeindrucken?«, fragte er Lindsey.
Die schüttelte den Kopf. Diese Woche schimmerte ihr Haar in einem satten Rote-Bete-Ton, und nur eine einzige blonde Strähne teilte ihren Pony in zwei Hälften. »Nein, ich interessiere mich eher für die Aristokraten der Vergangenheit, als die noch |74| die Geschichte
bestimmten
. Heutzutage sind Titel nicht mehr von Bedeutung. Heutzutage bin ich für die Republik.«
Mary Jane schaute verwirrt drein. Honey vermutete, dass sie als Amerikanerin nicht so recht wusste, für welche Seite sie sich entscheiden sollte. Sollte sie für die Republik eintreten oder ihr aristokratisches Erbe verteidigen?
Lindsey murmelte, sie müsse jetzt in die Küche gehen, um die Leibeigenen auszupeitschen.
Schon beim bloßen Gedanken, dass irgendjemand auf die Idee kommen könnte, ihren Chefkoch Smudger zu schlagen, stieg Entrüstung in Honey auf.
»Prima«, sagte Doherty und wandte sich wieder Mary Jane zu. »Sie müssen noch eine Aussage machen.«
»Die Frau war eine Betrügerin!«
Doherty war die Langmut in Person. »Das habe ich eigentlich damit nicht gemeint. Ich möchte, dass Sie sich jetzt ganz genau erinnern, Mary Jane. Wann haben Sie die Frau zum letzten Mal gesehen?«
Mary Jane verzog das Gesicht, runzelte die Stirn, dass sich ihre blassen Augenbrauen hoben.
»Vor dem Garrick’s Head. Da habe ich sie zuletzt klar und deutlich gesehen. Danach habe ich nur noch ab und zu einen flüchtigen Blick auf sie erhascht. Zum Teufel, es hat geschüttet, als hätte der liebe Gott die Dusche aufgedreht und versuchte nun, uns alle in den Gully zu spülen!«
»Also: Ich habe die als Lady Templeton-Jones bekannte Frau zum letzten Mal vor dem Garrick’s Head gesehen …«
Doherty bewies Engelsgeduld. Er sprach Mary Jane jede einzelne Zeile laut vor, holte sich ihre Zustimmung ein, ehe er sie notierte. Schließlich hatte er eine Aussage von einiger Länge beisammen, die sie unterschreiben konnte.
Honey verdrehte die Augen zur Decke, als Mary Jane das Blatt Papier umständlich auf der schrägen Oberfläche des Reiseschreibpults ausbreitete, das sie auf den Knien hielt.
Verdattert schaute Doherty zu, wie die alte Dame die Messingschließen öffnete und dann den Deckel des Tintenfasses aufklappte. |75| Zu guter Letzt kam noch eine Schreibfeder zum Vorschein.
»Für mich ist die Vergangenheit noch lebendig«, sagte Mary Jane. »Und wenn ich irgendetwas schreiben muss, dann mache ich es so wie meine Vorfahren.«
Sie unterzeichnete die Aussage mit einem schwungvollen Schnörkel, trocknete dann die Tinte mit einem Löscher mit Elfenbeingriff ab. Sobald all dies getan war, teilte Doherty ihr mit, dass sie nun gehen dürfte.
Mary Jane erhob sich. Sie wirkte recht nachdenklich. »Ich könnte ja vielleicht versuchen, mit ihr Kontakt aufzunehmen und sie zu fragen, wer der Täter war.«
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Als sie endlich allein waren, prustete Doherty los. »Ein Geisterspaziergang! Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Mary Jane hatte Geburtstag. Das war mein Geschenk.«
Eine kleine Lüge, aber notwendig. Sie hatte Mary Jane eine blassrosa Kameenbrosche zum Geburtstag geschenkt. Der Spaziergang war Teil ihres neuen Lebensstils – zu Fuß gehen, wenn immer möglich, dann verschwinden die Pfunde wie von selbst. Es schien ein gutes Mantra zu sein. Denn
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