Mord zur Geisterstunde
Wärmflasche, da konnte die Mode des achtzehnten Jahrhunderts nicht mithalten.
Auf dem Rasen in der Mitte des Circus gesellten sich Honey und Ihre Ladyschaft zum Rest der Gruppe.
Pamela erzählte von allerlei seltsamen Begebenheiten, aber all das rauschte weit über Honey hinweg. Ihre Schnürsenkel schleiften schon wieder auf dem Boden. Resigniert beugte sie sich hinunter.
»So, nun geht es weiter. Als Nächstes zu den Assembly Rooms.«
Pamela stach energisch ihren Regenschirm in die Luft.
Die Gruppe trottete hinter ihr her. Honey bildete die Nachhut.
Große Gebäude rechts und links der Straße warfen schwarze Schatten, gegen die auch die Straßenlaternen nicht ankamen. Zunächst ging es zur Gay Street zurück, dann rechts in eine kleine Gasse, die an der Hinterseite der Antiquitätenmärkte vorbeiführte.
Dank ihrer Schnürsenkel war Honey wieder weit hinter der Gruppe zurückgeblieben. Irgendwann konnte sie die anderen nicht mehr sehen oder hören. Nur die Lady aus dem Mittleren Westen war noch in der Nähe. Honey schien es, als würden die Schritte der armen alten Dame immer langsamer. Sie blieb stehen, damit die Frau zu ihr aufschließen konnte, und erhaschte tatsächlich ein Lächeln, als sie mit ihr gleichgezogen hatte. »Ich nehme an, Sie sehen auch keine Geister?«
»Ganz gewiss nicht!«
Honey versuchte es noch einmal. »Und Sie fürchten sich nicht vor Gespenstern?«
»Fürchten muss man sich vor den Lebenden, nicht vor den Toten.«
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Bildete sie sich das ein, oder wollte Ihre Ladyschaft sie abhängen? Honey war sich ziemlich sicher, dass das alte Mädchen jedes Mal, wenn sie zu ihr aufschloss, ihre Schritte beschleunigte.
Sie verspürte das dringende Bedürfnis, der Dame zu erklären, dass sie nicht so wirr im Kopf war wie all die anderen. »Ich hatte gerade nichts Besseres zu tun. Meine Freundin hat mich zu diesem Spaziergang eingeladen. Die ist ganz wild auf so etwas.«
Ihre Ladyschaft reagierte mit einem undeutlichen Knurren.
»Ich bin keine Psychotante. Ich habe ein Hotel«, platzte Honey heraus. »Ein Hotel in Bath.«
»Sie betreiben ein Hotel?« Auf einmal klang die Dame interessiert.
»Schlimmer noch. Es gehört mir. Und das wiederum bedeutet, dass ich der Bank gehöre«, ergänzte Honey mit einem traurigen kleinen Lachen.
Einerseits war es ein Witz – und doch auch wahr. Ihre Begleiterin lachte jedoch nicht.
»Haben Sie zufällig ein Zimmer frei?«
Es hatte ganz den Anschein, als meinte sie es bitterernst.
»Ja. Wann brauchen Sie es denn?«
»Heute Nacht.«
So schnell!
Sie inspizierte im Geiste die Spiegel, schüttelte Kissen auf und zog die Kreditkarte durch die Maschine. »Prima. Geht in Ordnung. Ich nehme an, Sie müssen Ihre Sachen noch in dem Hotel abholen, wo Sie im Augenblick abgestiegen sind …«
»Nein! Nicht nötig. Ich komme gleich mit Ihnen mit, sobald wir diesen absurden Spaziergang hinter uns gebracht haben.«
|14| »Ja, sicher.«
Ihr lag die dringende Frage auf der Zunge, was denn an diesem Spaziergang so besonders absurd war.
Sicher unter der Kapuze versteckt, richtete Honey die Augen fest auf ihre Füße, die durch die Pfützen patschten. Na ja, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Wie wahr! Sie sollte sich freuen, dass ein Zimmer mehr vermietet war – ohne dass sich der potenzielle Hotelgast auch nur nach dem Preis erkundigt hatte! Das würden sie schon irgendwann klären. Gewöhnlich versuchten Leute mit Adelstiteln nicht zu feilschen. Es war gar nicht gut fürs noble Image, wenn es aussah, als wäre man knapp bei Kasse.
Inzwischen hatte der Regen noch etwas zugelegt. Honey hing weit hinter den anderen zurück. Na ja, auch gut, dann hatte sie eben die Gruppe aus den Augen verloren. Es widerstrebte ihr, auch nur die Nasenspitze unter der Kapuze hervorzustrecken, um einen besseren Überblick zu bekommen. Zum Glück ging es bergab. Die Tour war wohl bald zu Ende.
Entlang der kleinen Gässchen standen eng gedrängt verschieden hohe Gebäude. Zumeist waren darin kleine, eingeschossige Läden untergebracht, die aus der gleichen Zeit stammten wie das uralte Kopfsteinpflaster. Früher einmal waren hier vielleicht Werkstätten von Handwerkern angesiedelt gewesen, oder man hatte Pferde darin untergestellt. Jetzt herrschte Dunkelheit, und selbst bei Tageslicht war nicht viel los. Über einer Tür hing an einem Winkelträger eine alte kupferne Gaslaterne. Dann erregte die flackernde Flamme einer Kerze, die im elegant gewölbten
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