Mord
wir gucken mal, was da los ist.» Zügig liefen sie los, in die Anlage, und fast sofort trafen sie auf Jan Peter und die beiden Männer, die einander gegenüberstanden und sich beschimpften, hoch über ihnen eine gerade verblühende wilde Kirsche und prächtige, blütengeschmückte Kastanien im sanften Ostseewind. In einem kleinen Rondell stand ein Obelisk mit einem Medaillon zum Gedenken an den wohltätigen Stifter des Schützenhauses, dahinter stieg eine mit langem Gras bewachsene Böschung steil an zum Neuen Friedhof von Lassan, der sich parallel zur Anlage auf einer Hügelkuppe dahinzog. Gerd zog seine Jacke aus und hängte sie an einen Pfosten. Franz und Willy marschierten durch.
Das Gericht stellte später fest: Der 26 -jährige Franz Bardelow sowie seine beiden Brüder Gerhard, 21 , und Jan Peter, 16 , schlugen zusammen mit Willy Meier, der auch erst 16 war, gegen zehn Uhr abends auf Bert Körner und Werner Stolp so lange ein, bis diese besinnungslos am Boden lagen. Sie schleiften beide ein Stück weiter auf den Friedhof in Lassan, wo man um diese Zeit ungestört war. Sie bearbeiteten die beiden, die besinnungslos bäuchlings am Boden lagen, weiter mit Fußtritten und Schlägen. Der 28 -jährige Bert Körner starb auf dem Friedhof, hinter einem flechtenbewachsenen Grabstein; er wurde am nächsten Morgen tot aufgefunden. Werner Stolp konnte sich nach Hause schleppen und wurde dort am nächsten Tag blutüberströmt aufgefunden. Die meisten Rippen waren gebrochen, die Weichteile des Kopfes massiv geprellt, das Hirn aber zum Glück nur wenig geschädigt. Das Glück reichte nicht aus: Er verstarb acht Tage später im Krankenhaus infolge des Alkoholentzugs im Delir. Er wurde 30 Jahre alt.
Franz fand: So war es nicht. So verstand man das nicht. Obwohl er es eigentlich auch nicht verstand. Aber eins gab das andere. Die beiden hätten ja auch gewinnen können, und dann läge er selbst auf dem Friedhof. Obwohl die auch wieder nicht das Zeug hatten zu gewinnen. Sie, die Bardelows, waren oft genug geschrubbt worden – so schnell konnte man sie nicht fertigmachen. Als sie bei Jan Peter ankamen … okay, genau genommen war Ruhe, «kein Kampfgeschehen mehr», wie es im Urteil hieß. Aber der eine hatte Jan Peter schon am Hals gehabt und wollte ihn abwürgen, woher hatte der sonst seinen roten Hals, das waren Würgemale, von Körner. Er selbst hatte mit dem Körner ja sonst nichts am Hut. Nur mit Stolp. Der Stolp, von dem war bekannt, dass er immer Streit suchte. Er hatte dem vorher schon gesagt, eine Woche vorher, er solle ihn zufrieden lassen, sonst lange er ihm ein paar.
Weil Franz in gewissen Gaststätten Verbot hatte, war der Stolp immer gekommen und hatte gestänkert, der wollte glatt verhindern, dass ihm was verkauft wurde. Der Kneipier duldete ihn, der sagte, er habe vom Gericht ja nichts Schriftliches. Der Stolp aber stichelte: «Gib dem nichts, der kommt geradewegs aus dem Knast.» Sonst hatte er mit dem Stolp weiter nichts zu tun gehabt, mit dem Körner auch nicht.
Franz hatte einiges getrunken gehabt zu dem Zeitpunkt, seit der ersten Flasche bei der Schwester sechs Stunden zuvor. Richtig betrunken fühlte er sich nicht, aber doch kampfbereit. Bis sie mit Willy bei Jan Peter waren, verging nur eine Minute. Jan Peter stand da, Bert Körner und Werner Stolp suchten schon das Weite, als sie die Brüder Bardelow anrücken sahen. Franz und Willy verfolgten den fliehenden Stolp und schlugen ihn nieder. Gerd und Jan Peter stürzten Körner hinterher, schlugen ihn zu Boden und versetzten ihm Fußtritte in die Seite und vor den Kopf. Beide lagen auf dem Bauch, versuchten mit den Armen ihren Kopf zu schützen und röchelten. Anfangs versuchten sie noch, wegzurobben, weg von den Tritten, aber die kamen mal von rechts, mal von links. Man hörte nur das Rauschen der Bäume, einen späten Singvogel, das Klatschen der Schuhe, das Röcheln und ein leichtes Schnaufen bei Willy und den drei Brüdern Bardelow.
Willy wischte sich mit dem Ärmel Schweiß von der Stirn. Gerd hielt inne und machte eine Pause, schaute nach oben in die Blätter, die sich im Nachtwind unablässig bewegten, ging kurz zurück, holte seine Jacke, die anderen machten weiter. Dann zündete Franz sich eine Zigarette an, verschnaufte, drückte die Kippe mit dem Schuh aus, während er Stolp anvisierte, nahm etwas Anlauf und trat wieder zu, wie beim Strafstoß. Gerd knallte mit der Fußspitze gegen einen Stein unter dem Körper von Körner, er humpelte
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