Mord
machten sie sich davon und liefen heim, Jan Peter und er. Die Nacht schlief er bei der Mutter auf der Couch. Sie wusch am nächsten Morgen seine Klamotten, auf die Mutter war Verlass.
Kurz vor Mittag kamen zwei Beamte von der Volkspolizei. Erst wollten sie nur was von Jan Peter. Der war aber nicht zu Hause, war angeln gefahren. Als er kurz vor dem Mittagessen zurückkam, kamen sie erneut und nahmen ihn mit. Ein bis zwei Stunden später standen sie wieder da, um Franz und Gerhard abzuholen. Franz war zu dem Zeitpunkt schon zu Ohren gekommen, dass der eine, Körner, gestorben war. Und dass der Stolp zu Hause im Bett gelegen hatte mit zerschlagenem Gesicht. Das hatte schnell die Runde gemacht im Dorf, auch dass es natürlich wieder die Bardelows waren, dass Franz dabei war. Was er da gedacht hat? Was soll er schon gedacht haben. Er wusste, was ihm blüht. Zu Jan Peter hatte er noch gesagt, bevor die Polizei kam: «Siehste, was du angestellt hast. Ich bin vorbestraft, der ist tot. Wenn du Pech hast, sitzt du das ganze Leben im Gefängnis.»
Und dann war er also von der Polizei abgeholt worden. Die ganze Nacht wurde er vernommen, er war ganz mickrig bekleidet, wie er so dasaß, Stunde um Stunde. Franz bestritt nicht, was sie getan hatten. Nur den Vorsatz, den wollte er nicht zugeben, umbringen wollten sie die nicht; den Satz vom Töten, auf dem Friedhof, den hatte er nie gesagt.
Er kam in Untersuchungshaft nach Greifswald. Es kamen andere Leute, die Mordkommission aus Rostock, da fing das Ganze noch mal von vorne an. Er hörte auf, die Vernehmungen zu unterschreiben. Die Kripo-Leute wollten alles besser wissen als er. Die wollten ihm noch drei bis vier andere Körperverletzungen anhängen, an denen er gar nicht beteiligt war. Was in der Nacht und danach alles abgelaufen ist, wie die gefunden wurden und wie es mit den beiden weiterging, erfuhr er erst nach und nach. Nach acht Tagen hieß es plötzlich: zweifacher Mord, nicht nur einer. Stolp war tot. Dabei hatte der doch überlebt, wie durch ein Wunder. Er wusste, dass der Stolp am Sonntagmorgen blutverkrustet in seinem Bett gelegen hatte. Er hatte sich noch gefragt, wie der überhaupt weggekommen war vom Friedhof und noch nach Hause. Und jetzt war er doch tot. Die Mediziner konnten auch nicht so genau sagen, wie der Stolp zu Tode gekommen war. Er hatte in der Klinik in Greifswald ein Trockendelir bekommen; daran kann man sterben, erfuhr Franz. War das nun seine Schuld? War doch sicher wichtig, ob der nun an ihren Schlägen oder an Alkoholsucht gestorben ist.
Franz verlangte eine Gegenüberstellung mit Jan Peter. Erst kommt er seinem kleinen Bruder zu Hilfe, und dann sagt der bei der Polizei, er hätte auf dem Friedhof gesagt: «Die schlagen wir tot.» Franz klammerte sich daran, dass er das nicht gesagt hatte. Schließlich gab es die Gegenüberstellung, sein Bruder blieb dabei, sagte es ihm ins Gesicht. Später bei Gericht widerrief er seine Aussage, aber da war es zu spät, da sagte das Gericht, Jan Peter wolle ihn nur schützen.
Warum das sogar auf dem Friedhof noch weiterging mit den Fußtritten und den Schlägen, wusste hinterher keiner der vier mehr zu sagen. Franz sagte, wenn er Alkohol trinke, könne er nicht aufhören. Wenn er nicht zu viel getrunken hätte, hätte er sich vielleicht mit denen geschlagen, dann aber aufgehört. Vielleicht hätte er auch den Arzt gerufen, wenn er gemerkt hätte, dass sie verletzt sind. Franz wusste selbst nicht, ob das stimmte, was er sagte, oder ob er sich hinter dem Alkohol versteckte.
Bei den ganzen Vernehmungen war ihm klar, worauf das hinauslaufen sollte, auf Mord. Nicht Körperverletzung mit Todesfolge, nicht Totschlag. Auf Mord stand Todesstrafe, damals in der DDR , wie stets zuvor in Deutschland. Dass die Bevölkerung auf ihn nicht gut zu sprechen war, konnte er verstehen. «Das ist ja ein ganz normaler Vorgang», sagte er, «bei dem, was wir getan haben. Aber Mord war das nicht.»
Einen Monat nach der Tat in Lassan wurde im Juni 1981 in Leipzig der MfS-Offizier Werner Teske wegen Spionage durch Genickschuss hingerichtet. Es war das letzte in der DDR vollzogene Todesurteil, der letzte von 166 Menschen, an denen die Todesstrafe vollstreckt wurde. Zuletzt traf es nur noch Spione. Der letzte «zivile» Bürger, der hingerichtet worden war, war der erst 20 -jährige Erwin Hagedorn im September 1972 gewesen; er hatte drei Kinder ermordet.
Im Januar 1982 wurde Franz Bardelow vom Bezirksgericht Rostock wegen
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