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Mord

Mord

Titel: Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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Dachschräge, aber sie standen Schulter an Schulter, ließen keinen Zwischenraum, öffneten sich hinter der Kirche zum Marktplatz, rückten dann wieder zusammen. In der Ortsmitte thronte hinter dem Alten Friedhof und den Resten der alten Stadtmauer der mächtige ziegelsteinrote Kirchturm von St. Johannis auf einem Hügel; von seiner Spitze konnte man über das arg zerschlissene Dach und den Peenestrom weit nach Usedom hineinsehen. Kein Dorf, eine stolze Stadt mit Geschichte. Die Bürger von Lassan schauten die Ankömmlinge an und sahen, dass sie asozial waren; wer so viele Kinder hatte, das stand fest, war asozial. Man musste sich ja nur den Vater anschauen, der immer herumhing und den nie jemand ohne Zigarette sah, der grinste und witzig sein wollte und seine Schau abzog. Kein Arsch in der Hose, sagten sie, aber La Paloma pfeifen.
    An seinem Geburtsort war Franz zwei Jahre auf die normale Schule gegangen, nach dem Umzug kam er zur dritten Klasse gleich in die Sonderschule. Er wäre ein Rowdy, eilte dem Achtjährigen sein Ruf voraus, klein, aber streitsüchtig. Wenn es sich irgendwie einrichten ließ, schwänzte er, oder seine Mutter musste ihm eine Entschuldigung schreiben. Zu schwer war ihm die Schule nicht, aber er hatte zunehmend größere Lücken und kam oft nicht mit. Zu Hause mochte sich niemand darum kümmern, die Mutter hatte keine Zeit, frühmorgens zur Arbeit, dazu neun Kinder und der Mann; und der Vater war zu faul für überhaupt etwas. Immerhin musste Franz keine Klasse wiederholen, und nach der 7 . Klasse durfte er die Sonderschule verlassen. Das war damals so üblich, man sollte lieber zügig arbeiten gehen.
    Er begann auf dem Sägewerk und fand das gar nicht schlecht. Das war gute Arbeit, und man sah, was dabei rumkam; es wurde ganz gut bezahlt, und er blieb fünf Jahre, bis er das erste Mal eingesperrt wurde. In seiner Freizeit – was sollte man da machen am Ende der bekannten Welt, am Westrand Sibiriens, wie man so sagte? Es gab einige Kneipen, wo er hinging, mit einigen wenigen Freunden oder seinem Bruder Gerd, und es gab eine Disko. Jan Peter war ja noch klein und machte keinen Ärger. Den machte damals noch Franz, der legte sich gerne an mit den ordentlichen Jugendlichen, den Eifrigen, den klassenbewussten Strebern. Er ärgerte sie mit seinen Sprüchen, mit seinem Meckern über die Partei. Wenn er so was rausgehauen hatte, lehnte er sich zurück und war stolz, sagte: «Tja, die Wahrheit! Die Wahrheit könnt ihr halt nicht ertragen.» Einmal wurde er festgenommen, weil er betrunken ins Quatschen gekommen war und Walter Ulbricht nachgemacht hatte mit seiner Fistelstimme und seinem vernuschelten Sächsisch. Oder wenn die mit der Sammelbüchse kamen, für was auch immer, dann sagte er: «Bleibt mir weg mit eurem Schietkram, ich mach nicht mit, ich brauch mein Geld selber, ist wenig genug.» Das Geld, das er verdiente, hat er überwiegend vertrunken; er fand, es diente damit einem guten Zweck.
    Man soll die etwas kleineren Männer nicht unterschätzen. Groß war Franz nicht, aber kraftvoll, und er hatte einen Punch. Äußerlich erinnerte er an Popeye, den Seemann, bloß ohne Pfeife. Er hatte auch dessen Hang zu lakonischen Äußerungen, mit denen er durchaus ins Schwarze treffen konnte; aber zur See gefahren ist er nie. Mit 19  Jahren wurde er zum ersten Mal eingesperrt, verurteilt wegen Körperverletzung und Diebstahls sozialistischen Eigentums. Er hatte einem vor den Kopf geschlagen. Er fand nicht, dass man das hätte anzeigen müssen, ein blaues Auge und dicke Lippen hatte der danach. Vorher war er zwei- oder dreimal an einer Schlägerei beteiligt gewesen, da war auch nichts drauf gefolgt; so was zeigte man nicht an unter Männern. Sein ältester Bruder Torsten hatte mal eine Bewährungsstrafe bekommen wegen Schlägereien, als er in Bansin gelernt hatte. Aber Franz war der Erste, der richtig eine Haftstrafe verbüßen musste, in Stralsund und in Warnemünde. In Warnemünde war ein Arbeitslager, da arbeiteten sie auf der Werft. Das war mindestens so interessant wie das Sägewerk, und sie kamen miteinander klar im Lager. Er ließ sich da tätowieren, obwohl es verboten war, an beiden Armen und am Hals, sodass es ihm aus jedem Hemd hervorschaute. Später hat er das oft bereut, zumal der Kumpel, der das gemacht hatte, bei Licht betrachtet wahrlich kein großer Künstler war. Aber da war es zu spät.
    Nach der Haft kam er zum Meliorationsbetrieb Zinnowitz, fuhr jeden Tag mit Kollegen dahin. Eine

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