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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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darin war ich mir nicht ganz sicher -, handelte es sich um das Umkehrbild einer Aufnahme des Abdrucks, den man auf dem Hals der ermordeten Miss Riverford gefunden hatte. Littlemore betrachtete den Fleck sorgfältig und verglich ihn mit einer goldenen Krawattennadel, die er aus einer anderen Tasche hervorkramte. Er zeigte mir die Nadel – sie trug das Monogramm GB – und forderte mich auf, sie selbst mit dem Bild zu vergleichen.
    Über das Bild gebeugt, erkannte ich in dem dunklen runden Fleck auf der Fotografie den Umriss eines Schriftzugs mit Ligatur, der zweifelsfrei große Ähnlichkeit mit dem auf der Krawattennadel hatte. »Sie sind gleich.«
    »Ja«, bestätigte Littlemore, »fast identisch. Das Problem ist bloß, Riviere meint, dass sie nicht gleich sein können. Sie müssten entgegengesetzt sein. Das kapier ich nicht. Wissen Sie, wo wir die Krawattennadel gefunden haben? Im Garten der Actons. Für mich ist das der Beweis, dass Banwell bei den Actons war. Vielleicht ist er über einen Baum bei Miss Acton eingestiegen.« Er setzte sich auf einen Stuhl, weil sein rechtes Bein anscheinend so wehtat, dass er nicht mehr stehen konnte. »Sie glauben doch auch immer noch, dass es Banwell war, Doc?«
    »Ja.«
    »Dann müssen Sie mich zum Bürgermeister begleiten.«

     
    Bequem auf seinem Platz in der ersten Reihe im Hippodrome sitzend, dem größten geschlossenen Theater der Welt, weinte Smith Elly Jelliffe still vor sich hin. Die meisten anderen Theaterbesucher hatten ebenfalls Tränen in den Augen. Das Schauspiel, das sie so gerührt hatte, war der feierliche Marsch der Tauchermädchen, vierundsechzig an der Zahl, hinab in den fünfeinhalb Meter tiefen Teich, der einen Teil der riesigen Bühne im Hippodrome bildete. (Das Wasser in dem Teich war echt; Luftbehälter unter Wasser und unterirdische Gänge boten den Darstellerinnen eine Fluchtroute hinter die Kulissen.) Wer konnte da an sich halten, wenn die anmutigen, ernsten Mädchen in Badeanzügen in den Tiefen verschwanden, um niemals auf die Erde zurückzukehren, weil sie dazu verdammt waren, von nun an vor dem Marskönig in seinem Zirkus aufzutreten?
    Der herbe Verlust wurde Jelliffe durch das Wissen versüßt, dass er zwei der Mädchen schon sehr bald wiedersehen würde. Eine halbe Stunde später schritt ein sichtlich zufriedener Jelliffe mit einem stöckelnden Tauchermädchen an jedem Arm in den Speisesaal von Murray’s Roman Gardens an der Forty-second Street. Hinter Jelliffe her schlängelten sich die zwei langen rosa Federboas der Revuegirls. Vor ihm standen die massigen Gipssäulen mit Laubmotiven, die bis zur Decke in dreißig Metern Höhe hinaufragten, wo elektrische Sterne funkelten und ein gewölbter Mond in unnatürlich hohem Tempo über das Firmament zog. Im Zentrum des Restaurants plätscherte ein dreistöckiger pompejischer Brunnen, und in der Trompe-l’Œil-Ferne der Wände ergingen sich nackte jungfräuliche Gestalten.
    Von seiner Statur her wog Jelliffe seine beiden Taucherinnen mühelos auf. Er war der Auffassung, dass ihn sein Körperumfang zu einem äußerst imposanten Mann machte – für das weibliche Geschlecht wohlgemerkt. Die beiden Revuegirls bereiteten ihm deshalb so viel Freude, weil er heute Abend großen Eindruck machen wollte. Er speiste mit dem Triumvirat. Noch nie zuvor hatten sie ihn zum Dinner eingeladen. Bisher hatte er es nur zu einem gelegentlichen Mittagessen in ihrem Club gebracht. Doch dank seiner Verbindungen zur neuen Psychotherapie waren seine Aktien anscheinend deutlich gestiegen.
    Jelliffe war nicht auf Geld aus. Was er wollte, war Ruhm, Ansehen, Prestige – und die konnte er vom Triumvirat bekommen. So waren es diese drei Herren gewesen, die Harry Thaws Anwälte an Jelliffe verwiesen hatten und ihm damit einen ersten Vorgeschmack auf künftige Geltung vermittelt hatten. Der größte Tag seines Lebens war der, an dem sein Porträt in den Sonntagszeitungen erschienen war, die ihn als »einen der größten Nervenärzte des Landes« feierten.
    Überraschend war für ihn auch das eingehende Interesse des Triumvirats an seinem Verlag. Offensichtlich handelte es sich um fortschrittliche Männer. Zuerst hatten sie ihm untersagt, Artikel anzunehmen, in denen die Psychoanalyse erwähnt wurde, doch dann änderte sich ihre Haltung. Ungefähr vor einem Jahr wiesen sie Jelliffe an, ihnen von allen eingereichten Arbeiten, die sich mit Freud befassten, eine Kurzfassung zu senden, und unterrichteten ihn sodann darüber, welche

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